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Manfred Klett - Biografie als Film
Themenschwerpunkt
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Schlüsselworte
Nazi Deutschland - Ungeist - Waldorfschule Salem am Bodensee - Waldorfschule Stuttgart Uhlandshöhe - Verbot der Waldorfschulen - Hungerperiode - Zeit des Hungerns - Zeit des geistigen Aufbruchs - Initiativkraft - Vorwärtsdrängen - anthroposophische Menschenkunde, Sprache in Metamorphosen - letzte Momente der christlichen Seefahrt - Im Moment einer schweren Verletzung hell und klar bewusst - Schicksalswende - Syrien, Beregnung Baumwollplantagen - Ausgrabungen im Quellgebiet am oberen Chabur Ra's al-'Ain - Geistige Waffen brechen jeden Widerstand- Seinen Ideen vertrauen-
Zum Film
Biografie MK |
Transkription als Text (von Annamarie und Sibylle 2020/2021)
Einleitende Worte 0:00:27
So, kann's los gehen. Ja, ihr lieben Leut'. Einen schönen guten Nachmittag wünsche ich. Ich hab... also an meinen Ohren hat es so geklingelt...der Martin hat mich gebeten hier noch mal aufzukreuzen, und da war die Frage, ob ich noch irgendwie was zu meiner Biografie sagen soll. Jetzt weiß ich nicht ob das auch der allgemeine Wunsch ist, wir können natürlich auch ein offenes Gespräch machen, aber ich kann ja einfach mal mit dieser Thematik anfangen, weil da ein bisschen was aufleuchtet was dann auch die eigene Biografie vielleicht etwas beleuchtet.
Geboren 1933 in Ostafrika am Kilimanjaro 0:01:13
Ja, die Schicksalswendungen des Menschen des Bewusstseinsseelen-Zeitalters sind nicht mehr so geradlinig, als wenn man in den alten Erbgang eingestiegen ist. Früher war es so, dass man hineingeboren worden ist in eine Dorfschaft oder in ein Handwerksdasein oder so. Und da war eigentlich schon mehr oder weniger doch der Lebensweg vorgezeichnet, dadurch, dass man das Erbe derer angetreten hat, die einem vorangegangen sind, und man hat dasselbe Handwerk gelernt. Jedenfalls war da eine größere Geradlinigkeit in den Biografien noch zu vermerken, wenngleich sich das schon im 18./19. Jahrhundert immer stärker differenziert hat. Und heute ist es effektiv so, dass man nicht mehr nur nicht das tut, was die Eltern getan haben oder die Großeltern, sondern nicht mal das tut, wofür man sich selbst ausgebildet hat, sondern plötzlich ist man ganz woanders gelandet. Und das ist also ein Phänomen unserer Zeit. Und was nun meine Person betrifft, so ist es so, dass das Schicksal gewollt hat, dass ich nicht - wie meine Geschwister alle - in Deutschland geboren bin, sondern in Ostafrika am Kilimanjaro, 1933, im Jahr der Machtergreifung hier in Deutschland. Ja, und bin dort auch aufgewachsen, vor dem Zweiten Weltkrieg, auf einer Kaffeeplantage. Mein Vater war Biologe und hat sich eigentlich im Wesentlichen für die Vegetation am Kilimanjaro interessiert, für die verschiedenen Vegetationsstufen von der Steppe bis rauf in die arktischen Klimate, und hat da also pflanzenkundliche Studien betrieben - aber gleichzeitig eine Kaffeeplantage, um den Lebensunterhalt zu haben. Und da bin ich aufgewachsen, und man hat sozusagen noch um sich herum das wilde Tierleben gehabt. Wenn man also nachts aus dem Haus getreten ist, dann leuchteten da irgendwo in der Dunkelheit die Augen eines Leoparden oder... - na, der Löwe war so ein bisschen weiter weg, aber auch nur ein paar Kilometer - und auch das Nashorn war sehr nah. Und die Elefanten kamen aus dem oberen Regenwald hin und wieder auch mal in die Kaffeeplantagen da vorgerückt. Man war noch so mittendrin, möchte ich mal sagen, in diesem ursprünglichsten Leben der Erde, wo der Mensch eigentlich nur eine sekundäre Rolle spielt und die Tierheit primär im Vordergrund stand. Nicht weit von der Serengeti war das dann auch - also die Serengeti ist ja bekannt, die große Steppe, die sich da bis an den Viktoriasee hinzieht in Tansania. Also das waren meine frühesten Jugendeindrücke, diese unglaubliche Nähe zur Tierwelt. Tagsüber hat man sie kaum gesehen, und nachts ging's los: Alles voller Geräusche, überall hat es geraunt und getan.
1940 mit dem letzten Schiff zurück nach Deutschland 0:04:58
Naja, dazu brauche ich jetzt nicht viel weitersagen als dieses, dass ich meinem Schicksal dankbar bin, dass es dazu geführt hat, dass ich wieder nach Deutschland gekommen bin. Die Zeit dort in Afrika, das war paradiesisch, absolut paradiesisch, muss man wirklich sagen, aber eben nur von relativ kurzer Dauer, denn der Zweite Weltkrieg brach aus, und die Engländer haben uns sofort festgesetzt. Die Engländer hatten ja das Mandat über Tansania, das ehemalige deutsche Kolonie gewesen war, sodass sie eigentlich dort die Regierungsgeschäfte mit den Eingeborenen zusammenführten, und die Deutschen waren nur geduldet. Und kaum war der Krieg aus, waren wir eigentlich Gefangene. Und es hat sich dann aber ergeben, dass die Engländer es zugelassen haben, dass, wer nach Deutschland zurück wollte, dies konnte - indem er alles stehen und liegen lässt, also auf alles verzichtet, was er dort aufgebaut hat. Und wir haben es geschafft, mit dem letzten Schiff, was überhaupt noch Flüchtlinge transportiert hat - ein italienisches Schiff, bevor Mussolini in den Krieg eingetreten ist - kurz davor noch rauszukommen. Mit nichts, als was wir gerade eben auf dem Leib trugen. Sonst hatten wir nichts mehr. Also wir haben alles stehen und liegen gelassen. Alles was sozusagen zum Leben gehört hat, haben wir unseren Mitarbeitern geschenkt, den Eingeborenen. Alles andere mussten wir also wirklich - die Kaffeeplantage, alles... - stehen und liegen lassen und kamen dann nach Europa zurück, schon während des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1940.
In Salem am Bodensee erlebte ich noch Nazi-Deutschland 0:07:04
Und da habe ich eben Gelegenheit gehabt noch den Zweiten Weltkrieg wirklich zu erleben, auch den Nationalsozialismus wirklich zu erleben wie man das - ich war damals dann elf Jahre alt - eben in diesem Alter erleben kann. Aber ich hab' das auch hautnah erlebt in vieler Hinsicht. Die Beispiele will ich jetzt nicht im Einzelnen aufzählen, aber es war jedenfalls so, dass mich das derart getroffen hat - bis ins Innerste schon damals - was da sich eigentlich abspielt. Das kam insbesondere auch dadurch zustande, dass ich noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, 1944, nach Salem kam am Bodensee an die dortige Schule - ich weiß nicht ob das bekannt ist, Salem am Bodensee, es ist eine sehr freie Privatschule, die schon Anfang der 30er Jahre gegründet worden ist - und von der meine Eltern nicht wussten, dass die. wenige Monate bevor ich dorthin kam, im Mai 1944 SS-Schule wurde. Da wurde die ganze Lehrerschaft rausgeschmissen, die alte Lehrerschaft, und da kamen also jetzt SS-Angehörige. Und da hab' ich dann erst recht so den Geist erlebt, der da eigentlich gewaltet hat. Ich bin meinem Schicksal dankbar, dass ich das erlebt habe, muss ich wirklich sagen. Also dass man diesen Ungeist - es war durchgängig von morgens bis abends, durch die Nacht hindurch, man möchte sagen eine Zeit des Ungeistes, also wo man als Mensch gar nicht mehr in dem Sinne Mensch sein konnte.
Nach Kriegsende nach Stuttgart Uhlandshöhe- meine Hoch-Zeit an der Waldorfschule 0:09:15
Und schließlich haben wir das Kriegsende dann auch überstanden, und dann hatte ich das Glück, nach Kriegsende - mit Zwischenstationen - auf die wiedereröffnete Waldorfschule in Stuttgart Uhlandshöhe zu kommen. Das ist die Ur-Schule - damals noch Kanonenweg genannt, also der Kanonenweg oben - und die war auch zerbombt, und als Schüler mussten wir also ständig Schutt aufräumen in den Pausen. Pausen gab's gar nicht, weil wir haben gearbeitet, mit dem Schubkarren haben wir den Schutt beseitigt, und in der Klasse selber saßen wir, 45 Schüler, in einem ganz engen Raum. Es tropfte immer durch's Dach durch, wenn es dann geregnet hat. Der Ofen stand mitten im Klassenraum mit so einem großen Ofenrohr durch's Fenster durch. Und so verbrachte ich meine Schuljahre in den Neuanfängen der Waldorfschule, nachdem sie ja verboten war - sie war ja seit 1935 offiziell verboten, und endgültig geschlossen wurden sie 1942, die letzten Waldorfschulen, '41 glaub' ich.
Und diese Zeit an der Waldorfschule, das war eine Hoch-, Hoch-Zeit, das können Sie sich heute überhaupt nicht mehr ausmalen. Das war, wie wenn man eine schwere Last abgeworfen hätte, die des Dritten Reiches, und man konnte jetzt frei atmen. Es war die große Hungerperiode. Wir haben gehungert, gehungert, gehungert. Wir hatten wirklich nichts zu essen. Wir hatten überall Löcher in den Beinen, sogenannte Hungerlöcher, und ich lief noch bis zur 8. Klasse barfuß, vom Frühjahr bis zum Herbst. Wir hatten keine Schuhe und nichts, es war ja alles kaputt. Und auch unsere Zufluchtsstätte, wo wir hätten noch wohnen können, war von einer Luftmine in die Luft geblasen, da war nichts mehr übrig. Es war damals nur Schutthaufen an Schutthaufen, man lief sozusagen in so schmalen Fußwegen über den Schutt durch die Stadt.
Zeit des geistigen Aufbruchs- Sehnsucht nach dem Ausland 0:11:46
Aber das war wirklich eine Zeit eines unendlichen geistigen Aufbruchs. Also das Zusammenleben von Schülern, Schülern und Lehrern, das war so geladen von Initiativkraft, Vorwärtsdrängen, wirklich etwas im Leben zu ergreifen, wie man es sich heute so gar nicht mehr ohne Weiteres vorstellen kann. Wenn man krank wurde, wurde man nur deshalb gesund, um möglichst schnell wieder in die Schule zu kommen. Das war also die eigentliche Therapie, die Schule war die Therapie. Jetzt muss man sich mal vorstellen, was da für ein Leben war, also in jeder Hinsicht. Man war befeuert von morgens bis abends.
Naja, und dann hatte ich natürlich die Sehnsucht, möglichst schnell wieder ins Ausland zu kommen, nachdem ich da im Ausland geboren war. Gleich nach dem Krieg, bei der ersten Gelegenheit, bin ich dann Austauschschüler geworden nach England, war dann in "Michael Hall" ein Jahr lang - das ist also auch eine Waldorfschule in Südengland - und hab' da viele Freunde auch gewonnen seit dieser Zeit.
Orientierung nach dem Abitur, 2 Semester Studium Bauingenieurwesen 0:13:07
Ja, und nach dem Abitur an der Waldorfschule in Stuttgart, war dann die Frage, was man jetzt also beruflich ergreift, und da stand man wirklich davor. Landwirtschaft war weit, weit, weit außerhalb des Gesichtskreises, weil ja die Landwirtschaft - damals - noch nahezu durchgehend bäuerlich war, dörflich bäuerlich. Und natürlich die Großbetriebe gab's auch, aber die waren dann auch natürlich irgendwie verpachtet oder so, aber da war sozusagen das seit dem Mittelalter bestehende Bauerntum noch wirksam - natürlich in Metamorphosen - und hatte noch Bestand. Das war also ganz undenkbar!
Und das Interessante daran war, dass die Lehrer der Waldorfschule uns auch nicht im Leisesten irgendwie einen Beruf eröffnet hätten im Hinblick auf biologisch-dynamische Landwirtschaft oder Heilpädagogik oder Sozialtherapie oder anthroposophische Medizin. Nichts, gar nichts. Nie auch nur ein Sterbenswörtchen, sondern die haben nur wirklich aus der anthroposophischen Menschenkunde heraus einen Unterricht erteilt, und es war wunderbar. Und da wurde uns immer wieder - in jeder Klasse in Metamorphosen - berichtet über die vorangegangenen Kulturen, die der griechisch-römischen Zeit, der davor liegenden ägyptisch- babylonisch- chaldäischen Zeit, und dann die ur-persische Kultur, die ur-indische Kultur. Das hat sich so tief in Bildern in uns eingeprägt - für's Leben! Das hat sich dann später auch bei mir gezeigt.
Naja, und dann war die Frage der Berufswahl. Und da hab' ich gesagt, ich studier' Bauingenieurwesen, ich werde Bauingenieur. Weil mir klar war damals - deutlich - das Problem der Wasserversorgung in der Welt wird das Zentralproblem überhaupt werden. Und das war auch natürlich für mich eine Verlockung, weil ich wieder raus wollte aus Deutschland, also raus in die Welt. Nach dem 2. Semester kam es dann mit einem gewissen brutalen Akt zu Ende, am Ende des 2. Semesters. Ich war damals schon ein bisschen unglücklich, weil ich gedacht hatte, ist das wirklich das Richtige? Das war 1954 zur Weltmeisterschaft.
Das heisst, vorher - das muss ich mal kurz einschieben - also nach meinem Abitur, bin ich zur See gefahren, da war ich Schiffsjunge auf einem Bananendampfer und bin nach Mittelamerika gefahren, hab' die Bananen nach Deutschland mit verfrachtet. Also das war auch eine sehr eindrückliche Angelegenheit, als Schiffsjunge noch die letzten Momente der christlichen Seefahrt zu erleben. Heute kann man nicht mehr von einer christlichen Seefahrt sprechen. Früher hieß es ja, also die Seefahrt war eine christliche. Die waren noch ganz aus den Quellen Heinrichs des Seefahrers gespeist, des Portugiesen, der dann eine Seefahrerschule - siehe Portugal - begründet hat, an der dann all diejenigen teilgenommen haben, die schon seit dem 15. Jahrhundert, also in der Nach-Columbus-Zeit im Wesentlichen so, zu Kapitänen der Schiffsfahrt über die ganze Welt geworden sind. Daher rührte noch dieser Begriff "christliche Seefahrt" und das ging eigentlich dann nach dem Zweiten Weltkrieg bald zu Ende, das wurde dann so kommerzialisiert usw. ...
Schicksalswende 1954, ich war 21 und brach mir das Bein 0:17:30
Naja, ich konnte also da noch etwas von dieser Qualität erleben und hab' dann angefangen Bauingenieurwesen zu studieren, und dann kam eben diese Sache nach dem 2. Semester, das war 1954. Wer das Jahr 1954 hört in Deutschland, der weiß, dass Deutschland damals die Weltmeisterschaft im Fußball gewonnen hat - und zwar war ich persönlich Handballer und spielte auch im Verein und war also richtig so zu Gange. Aber gleichzeitig haben wir natürlich auch ziemlich viel Fußball gespielt auf den Straßen Stuttgarts. Da fuhr noch kein Auto, da konnte man überall so die Schulranzen auf die Straße schmeißen und konnte dann anfangen... - mit so Tennisbällchen haben wir immer gekickt - und da waren wir also so befeuert, dass wir gedacht haben, jetzt müssen wir mal der Handelsschule in Stuttgart ein Spiel anbieten. Und die haben angenommen, und wir haben dann also das Spiel angefangen, und es stand schon bereits 3:0 für uns. Da kommt der erste Ansturm so richtig auf mein Tor - ich stand damals im Tor - und ich lief raus, und dann haut der mir mit voller Wucht mit so Böllerschuhen - wir hatten nur Tennisschuhe, wir haben nur mit Tennisschuhen gespielt - also mit so Böllerschuhen haut der mir das Bein ab. Das war abgewinkelt, und es war also ein sehr, sehr, sehr komplizierter Bruch. Ich stürzte zu Boden - und - es war der glücklichste Moment meines Lebens, den ich je erlebt habe, dieser Moment. Es war genau wenige Tage nach meinem 21. Geburtstag. Da hab' ich gesagt: Das ist jetzt mein Engel, der spricht zu mir, der hat ihn nur benutzt, diesen Kerle da benutzt, der mir das Bein abgehauen hat, aber das ist die große Wende meines Schicksals. Das war mir in dem Augenblick vollkommen hell und klar bewusst. Und es war dann eine sehr lange Zeit, wo ich da wirklich noch damit zu tun hatte. Ich musste dann auch nochmal operiert werden, es war also ein sehr komplizierter Bruch.
Syrien/ Bewässerungsanlage auf Baumwollplantage- die schönsten Zeiten meines Lebens 0:19:57
Und tatsächlich, die Schicksalswende trat ein, indem sich ergab, dass drei deutsche Landwirte klassischer Art, so konventionell damals - wirklich fachlich hervorragende Leute - beauftragt waren, einen Versuch zu machen im Vorderen Orient, durch Beregnung Baumwolle zu erzeugen. Und ich konnte mich dann anschließen an diese Expedition - als Schwarzes Schaf sozusagen, keine Ahnung von Landwirtschaft oder irgendwas - und so sind wir da in den Vorderen Orient gezogen, und zwar in den Nordosten Syriens. Und ich war damals in Damaskus, ich war in Hama, ich war dann in Homs, in Latakia, in Aleppo - all die Städte, die jetzt überall immer wieder durch die Zeitungen geistern. Also ich kannte das Land ziemlich in- und auswendig, also soweit man das so in dieser Zeit natürlich tun kann, aber ich hab' jedenfalls alles kennengelernt, die Städte, und lebte dann da im Nordosten in einem Zelt unter Beduinen. Und da haben wir damals versucht eben, am Chabur - das ist der längste Nebenfluss des Euphrat - Baumwolle anzubauen durch künstliche Beregnung. Und das ganze Experiment lief ziemlich schief, aus verschiedenen Gründen - das brauche ich jetzt nicht im Einzelnen zu erzählen - jedenfalls die zogen vorzeitig ab, und ich blieb als einziger übrig, um das ganze Ding noch abzuwickeln. Es waren wiederum mit die schönsten Zeiten meines Lebens. Ich musste die ganze Baumwollernte alleine machen, ich war damals 22 Jahre alt und hatte 140 Mitarbeiter, die ich dort zu betreuen hatte, also Araber, Beduinen, gestern vom Kamel runtergestiegen und jetzt haben sie da solche Arbeiten gemacht. Naja, das war dann sehr, sehr interessant.
Mitarbeit bei Ausgrabungen. Wüste in blühende Kulturen wandeln- mein Motiv für die Landwirtschaft 0:22:09
Und während dieser Zeit war eine Ausgräbertruppe aus Berlin dort oben am Chabur - Raʾs al-ʿAin hieß der Ort. Raʾs al-ʿAin heißt auf Arabisch "Quelle" - "ras" heißt der Kopf, "ain" das Auge. Das ist typisch für diese Sprache, diese arabische Sprache ist ungeheuer bildhaft, aber die Bilder sind immer so, wie wenn in den einzelnen Worten jeweils eine ganz spezifische Art fixiert wäre. Also es ist so, dass wenn man den Begriff "Löwe" z.B. im Arabischen aussprechen will, dann kommt es immer darauf an, sitzt der, oder liegt der gerade am Boden und wälzt sich da rum, oder springt er gerade auf, oder ergreift er gerade sein Opfer. Das ist jeweils ein Begriff für sich. Und so ist es auch mit Raʾs al-ʿAin, also das ist das Oberste des Auges, das ist die Quelle, das ist das Wort für Quelle. Es ist ein Quellgebiet gewesen da oben am oberen Chabur. Und ja, also dann ging eben die Sache schief. Ich hab' das dann zu Ende geführt und hab' während dieser Zeit aber auch bei diesen Ausgrabungen teilgenommen. Bei jeder Gelegenheit bin ich da hin und hab' dann auch mitgeschürft, weil mich das brennend interessiert hat. Und da hab' ich gemerkt, dass ein Teil dieser Hügel, die da so in der Gegend waren, dass das alles alte Siedlungshügel waren, und diese Siedlungshügel gingen dann so in eine Steppe über, eine Grassteppe, Wüste eigentlich. Und da hab' ich mir das so angeschaut und gedacht: Na wenn das mal eine Siedlung, mal eine blühende Kultur war, das alte Babylonien, die Chaldäer, Assyrien - das war ja eine unglaubliche Kultur gewesen, und jetzt ist es eine Halbwüste und nur noch so ein paar Hügel sind da übrig - wenn das so ist, dann muss ich schleunigst nach Deutschland zurück und zusehen, dass das nicht in Deutschland, in Mitteleuropa auch passiert, dass alles eine Wüste wird. Das war so ein Bild, was mir da aufgetaucht ist. Und gleichzeitig ist mir aufgetaucht im Anschauen dieser Landschaft dort und dieser kargen Hügel und überhaupt so in dieser ganzen Stimmung... - da sind mir die Bilder wieder aufgetaucht, die ich von meinen Lehrern gehört habe in der Waldorfschule, die Bilder dieser Kulturen, was da so gelebt hat, was da geistig bewusstseinsmäßig sich vorbereitet hat in der Menschheitsgeschichte für Späteres. Das kam mir aus der Landschaft entgegen, und da hab ich dann den Entschluss gefasst Landwirt zu werden. Es gab gar keinen anderen Grund, also weder alternativ noch irgendwas, was man sonst so heute denken könnte, ökologisch zu wirtschaften, sondern rein der Gesichtspunkt: Das war hier mal eine wunderbare blühende Kultur, und wir laufen Gefahr in Europa, möglicherweise auch eine Wüstenei um uns auszubreiten, und jetzt muss ich eigentlich doch mich zur Verfügung stellen, nicht irgendwo Brunnenbauer oder sonstwie Wasserbauer zu werden, sondern mich zur Verfügung stellen, dass man dieser Wüstenei entgegenwirkt.
Ich hatte keine Ahnung von biologisch-dynamischem Landbau, kam aber mit diesem Entschluss zurück nach Deutschland - 1955 war das, Ende '55 - und da hab' ich zu meinem Vater damals gesagt: Ich werde Landwirt! Da hat er mich völlig entsetzt angeguckt: Ja, da muss man doch reingeboren sein! Das geht doch gar nicht! Man kann doch das nicht irgendwie .... - Nein! Ich werde Landwirt! Und dann ergab sich wenig später - ich suchte eine Lehrstelle - dass ich Gelegenheit hatte, mit jemandem mitzufahren, der verschiedene Betriebe aufgesucht hat in Hessen und Nordrheinwestfalen, um die mal anzugucken.
Winter 1956: Erste Begegnung Ernst Becker auf dem Dottenfelderhof 0:26:49
Naja, da sind wir über verschiedene Stationen schließlich gelandet - wo? Hier auf dem Dottenfelderhof! Es war ein eiskalter Winter, 1956, also wirklich minus 25 Grad Celsius, und da steig' ich da unten an der Ecke aus, und von der Treppe kommt da jemand runter, mit so 'ner Zipfelmütze und 'ner Augenklappe. Und dann guck ich dem nur einmal in das eine Auge, und dann hab ich gesagt: "Hier bleib ich! Hier bleib ich!"
Also ich bin dann noch weiter gefahren nach Nordrheinwestfalen, hab da verschiedene biologisch-dynamische Betriebe angeguckt, unter anderem auch den von Kruckelmann, ich weiß nicht ob der Name Kruckelmann bekannt ist, von Gut Rothenhausen, die hatten früher ihren Betrieb bei Dortmund-Kruckel, Kruckeler Strasse, der Kruckeler Hof. Die haben das ja dann verkauft und haben dann Rothenhausen gekauft damals, die Eltern. Friedhelm Kruckelmann war mein Lehrling dann gewesen später. Naja, dann haben wir den Hof angeguckt und einen anderen Hof, und das hat mich überhaupt nicht mehr interessiert. Nichts. Aus. Ich will hier her! Und so ergab sich das, dass ich hier dann meine Lehre auf dem Dottenfelderhof absolviert hab'.
Das war damals auch eine Sternstunde des Dottenfelderhofes, muss ich sagen. Der wurde schon seit 1946 biologisch-dynamisch bewirtschaftet von dem Ernst Becker, eben jenem mit der Augenklappe, und hinzu kamen dann noch Graf Bothmer - der gerade promoviert hatte bei Ernst Klapp in Bonn - der hat Forschungen betrieben zusammen mit der Universität Gießen hier auf dem Hof - und dann war noch der Dr. Wolfgang Schaumann, der Tierarzt. Die bildeten ein Triumvirat. Und in dieser Phase der 50er Jahre sollte der Dottenfelderhof zum Zentrum der biologisch-dynamischen Bewegung in Deutschland werden. Das war alles schon fix und fertig konzipiert, mit allem drum und dran. Alles was heute in Darmstadt ist, das Institut und weiß ich was, das sollte alles hier auf den Dottenfelderhof kommen.
Das Triumvirat Becker, Bothmer und Schaumann ringt um die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise 0:29:02
Und dieser Plan, der ausgereift war und eigentlich auf den Ernst Becker zurück ging in seinen Verhandlungen mit dem Land Hessen, dieser Plan zerbrach im letzten Moment. Das war eine furchtbare Katastrophe! Das habe ich als Lehrling damals miterlebt. Das war eine Intrige, die von den Mitpächtern des Hofes und der Pächtergemeinschaft hier in der Wetterau gegen diesen Plan der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise und gegen die Person von Ernst Becker gerichtet war. Eine richtige große, gut eingefädelte Intrige. Und da haben natürlich die verantwortlichen Leute im Staat gesagt: Ja unter diesen Bedingungen können wir euch nicht diese Lösungen hier verwirklichen. Eine furchtbare Katastrophe!
Jetzt muss man sich vorstellen: Erstens mal, diese drei, Becker, Bothmer, Schaumann, die haben alle am Krieg teilgenommen. Jeder ist dem Tod gerade mal immer wieder von der Schippe gesprungen. Der eine hatte nur noch ein Auge und voller Splitter im Gesicht. Das war der Ernst Becker, der zu Pferd mit fliegenden Haaren... - an der Grenze zu Russland hat er die Pistole weggeschmissen, den Helm weggeschmissen und ist einfach mit seinem Pferd nach Osten geritten, als 18-jähriger, und hat die ganzen großen Kesselschlachten in Russland erlebt und war bis weit über Moskau raus geritten - südlich von Moskau wollten sie Moskau umfassen... Und dann hat er diese Handgranate ins Gesicht bekommen, und es war dann eben so, dass er dann blind war, dann aber doch einen wahnsinnigen Willen gehabt hat: Ich werde wieder sehen! Auf dem einen Auge wenigstens! Ein unglaublicher Choleriker, ein unglaublich begabter Mensch. Der hatte schon als Schüler Philosophie studiert, also während des Unterrichts da vorne hat der Kant gelesen und so. Schon am Ende seiner Schulzeit hat er gesagt, mit der Philosophie kann man nichts mehr in der Welt machen, das ist vorbei, das war einmal, und dann hat er Atomphysik studiert und angefangen bei Weizsäcker in Bonn und hat dann gesagt: Ach, das hat auch keinen Sinn, das führt in eine Sackgasse! Das ist keine Grundlage für die Entwicklung der menschlichen Erkenntnis. Dann hat er gesagt: Beibt nur noch eins übrig, ich muss das studieren, was mit dem Leben zu tun hat - Landwirtschaft! Und so hat er dann eben in Hohenheim Landwirtschaft studiert. Ja, das ist also eine ganze Geschichte für sich...
Mein Zugang zur Anthroposophie. Der Lesekreis 0:31:56
Insofern fand ich hier drei Menschen vor, die vom Zeitenschicksal ganz schön gezeichnet waren und gleichzeitig also voller Initiative, irgendwas in die Zukunft neu zu gestalten. Und da fühlte ich mich ja so richtig angesprochen natürlich, auf der ganzen Linie. Und durch die kam ich auch zur Anthroposophie. Wir hatten dann Lesekreis, schon vom ersten Tag an, als ich dahin kam, wo also dann die Anthroposophie studiert wurde, die Erkenntnistheoretischen Schriften Rudolf Steiners und später andere Schriften, also die Geheimwissenschaft usw.. Und da ging mir also hier eine Welt auf, also ich hab' gedacht, jetzt kann einen eigentlich nichts mehr halten. Das ist der Weg, auf dem man, im Grunde genommen, jedes Problem in Zukunft lösen kann. Und das war so eine begeisterungsvolle Zeit, meine Lehrzeit. Die hab' ich allerdings sehr verkürzt, wir haben da sehr viel geschummelt.
Ausbildung, Studium und Promotion in Hohenheim 0:33:14
Ich hab' da schon nach eineinhalb Jahren meine Prüfung gemacht und bin dann sofort nach Hohenheim, hab' da mein Studium angefangen, und das Studium bestand auch darin, dass ich mehr mich mit Philosophie befasst hab' und Anthroposophie als mit dem Studium selbst, und bin während dieser Zeit in jeden Semesterferien hierher auf dem Dottenfelderhof gekommen und hab' den Bewirtschafter gesprochen. Der Bewirtschafter war jetzt kaltgestellt, der musste den Hof konventionell bewirtschaften - das war zwangsweise, der hatte einen Berater, einen konventionellen Berater von außen vor die Nase gesetzt bekommen, der ihn beraten hat, wie man jetzt hier konventionell wirtschaftet. Seit '58 war das so, und ich kam jede Semesterferien hierher und hab' gesagt: Herr Becker, können wir mit dem Hof wieder was machen? Und dann hat er gesagt: Nein. Das war für mich bündig und ich hab' gesagt: Gut, dann nicht... Er wohnte noch hier, aber hat dann später am Institut für Biologisch-Dynamische Forschung in Darmstadt gearbeitet, wo er täglich hin und her fuhr. Naja, dann hab' ich gesagt, wenn es so ist, dann mache ich mein Studium zu Ende, dann promoviere ich halt noch.
Dann hab' ich eben im Fach Bodenkunde die Promotionsarbeit gehabt, die hat mich drei Jahre lang in Atem gehalten. Da hab' ich Wasseruntersuchungen gemacht und bodenkundliche Aufnahmen im Bereich Einzugsgebiet der Stockacher Aach am Bodensee, im Rahmen eines Riesenprogramms, das damals von der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgelegt war - nämlich die Frage: Kann man den Bodensee vor dem Umkippen retten? Kann man die ganzen Zuflussgewässer so rein halten, dass man das als Trinkwasserreservoir für ganz Süddeutschland usw. weiter zur Verfügung hat? Und ich habe damals die Ursprungsgewässer, d.h. also nicht-siedlungsbelastete Gewässer, untersucht und hab' einmal versucht festzustellen, was ist denn eigentlich die natürliche Stoff-Fracht eines Gewässers aus einem bestimmten geologischen Gebiet heraus. Also es ist natürlich klar, jedes Gewässer ist irgendwo ein Spiegel dessen, woher es eigentlich kommt, was sein Einzugsgebiet ist. Da hatte ich also ziemlich umfangreiche Arbeit zu leisten, das hat mich drei Jahre in Anspruch genommen - nur die rein experimentellen und analytischen Angelegenheiten. Und jedes Jahr bin ich wieder hier auf den Dottenfelderhof gefahren, und hab' dem Ernst Becker jedes Jahr dieselbe Frage gestellt.
1964 geht es endlich los mit dem Dottenfelderhof 0:36:15
Und im Jahr '64, als ich fertig war mit der Promotion, komme ich hierher - das war aber schon im Januar '64 - frag' ich Herrn Becker: Können wir was machen mit dem Hof? - JA, sagt er. Plötzlich sagt er JA! Und darauf ich: Ja das kann doch nicht wahr sein! Ja dann, wenn das so ist, dann müssen wir doch sofort was unternehmen! Und da haben wir uns noch am selben Tag hingesetzt und haben einen Brief an den Minister in Wiesbaden geschrieben und haben unsere Motive begründet, dass wir diesen Hof wieder gewinnen wollen für die biologisch-dynamische Landwirtschaft. Und der war derart idealistisch, dieser Brief - und wenn man den heute liest, nicht wahr, dann fragt man sich wirklich, also wer kann sowas überhaupt noch ernst nehmen.
Da haben wir drei Motive damals dem Ministerium unterbreitet - den Minister kannte der Ernst Becker, das ist nicht so, dass der unbekannt war, und der schätzte ihn auch, das war ein guter Mann, Tröscher hieß der. Das erste Motiv war, wir wollen hier auf diesem Hof ... - das galt als ein Großbetrieb, 186 Hektar war da die Fläche, das war zur damaligen Zeit ein echter Großbetrieb, denn normal war alles Übrige bäuerlich, und die hatten vielleicht 7, 8, 9, 10, 15 Hektar maximal - und da haben wir also das Motiv genannt, biologisch-dynamische Landwirtschaft hier so mustergültig wie nur irgend möglich zu entwickeln und haben den Staat eingeladen, da mitzuwirken. Wir haben die Minister usw. eingeladen: Ihr könnt alle sozusagen hier mitmachen, das ist eine interessante Sache für die Zukunft. Und wir haben gesagt, wir wollen gerne mit der Universität Gießen zusammenarbeiten, dann können die hier ihre Untersuchungen machen und so. Und der zweite Gesichtspunkt war, eine dafür geeignete Sozialform zu entwickeln. Weil wir genau wussten, so wie vorher kann man es nicht mehr machen. Eine dafür geeignete Sozialform - für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise! Und das Dritte war gewesen, eine zeitgemäße Lösung der Boden-Eigentumsfrage. Und das haben wir begründet. Und als ich meinem Vater diesen Brief dann gezeigt hab', hat er gesagt, den hätt' ich sofort in den Papierkorb geschmissen. Mein Vater hatte eine ziemliche Rolle in Baden-Württemberg gespielt, als Leiter der Landesanstalt für Pflanzenschutz, also er hatte da Einblick in solche Geschichten, hatte auch mit den verschiedenen Universitätsinstituten zusammengearbeitet. Er hat gesagt, den hätt' ich sofort in den Papierkorb geschmissen, wenn ich diesen Brief gelesen hätte. Der Minister Tröscher hat tatsächlich ein Antwortschreiben darauf verfasst: Er bitte um Präzisierung. Naja, so ging's los.
Die letzten Spuren der abendländischen christlichen Landbaukultur 0:39:53
Jetzt möchte ich nochmal sagen, bevor ich das weiter schildere: Diese Phase von 1946 bis 1957 war noch eine, wo die gesamte Struktur in Deutschland, auch in der DDR - Deutschland war ja geteilt - rein bäuerlich geprägt war, also so wie noch vor 100, vor 200, vor 300, vor 400 Jahren. Die Kirche war auch noch so gerade eben im Dorf, und die Betriebsgrößen lagen eben bei diesen Hektarzahlen von 7 Hektar bis dann vielleicht... - wenn einer 20 Hektar hatte, dann war das viel - alles noch Gemischtbetriebe, überall noch das Vieh im Stall, die Schweine im Stall, die Hühner im Stall, und dann der Ackerbau usw.. Das waren also noch wirklich, man möchte sagen, gewachsene Betriebsorganismen. Und bestens bewirtschaftet natürlich, das meiste von Hand und überwiegend Pferdezug oder Kühe wurden eben noch eingespannt - vor allem in Süddeutschland - und gerade diese Zeit hab' ich noch erlebt, im letzten Augenblick. Und zwar war das hier auf dem Hof dadurch möglich, dass der Hof vollgestopft war bis unter's Dach - wirklich, wirklich, das muss ich sagen - mit Flüchtlingen. Flüchtlinge aus dem Osten, die sich alle bestens auf die Landwirtschaft verstanden haben. Die wussten wie man mit Pferden umgeht, und handwerklich war das ganz perfekt bei diesen Leuten. Also das Mähen mit der Sense hab' ich von einer Frau gelernt aus dem Sudetenland. Die konnte mähen, das war ein Bild für die Götter, das anzugucken, wie die gemäht hat. Und die waren handwerklich noch durch und durch präsent. Und die konnten arbeiten! Das waren dann nicht 8-Stunden-Tage, sondern wenn mal Not am Mann war, dann hat man halt bis es dunkel war gearbeitet. Und es war ein Leben hier auf dem Hof, es war wunderbar! Aber es war so wie bei einem Kirschbaum, der, kurz bevor er stirbt, nochmal aufblüht. Die letzte Blüte sozusagen... Und so war das da mit der Landwirtschaft generell. Die abendländische christliche Landbaukultur seit dem frühen Mittelalter, die ist endgültig zu Grabe getragen worden just Ende der 50er-, Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Da war es endgültig Schluss und aus und vorbei. Die Bauern wanderten ab, die Flüchtlinge wanderten hier vom Hof ab, wurden aufgesogen von der Industrie. Das waren sozusagen die ersten Migranten, die da die Industrielle Produktion in Gang gesetzt haben. Das war der Übergang von den 50ern in die 60er Jahre. Und dann kamen die Herbizide herauf. Dadurch konnte der Ein-Mann-Betrieb sich entwickeln, mit Hilfe der Herbizide, und die Betriebe konnten sich entsprechend vergrößern. Also man konnte von heute auf morgen, von einem Jahr aufs andere den Zuckerrübenanbau hier in der Wetterau verdoppeln sozusagen, und das mit der geringeren Arbeiterausstattung als vorher - durch die Herbizide.
Verhandlungen mit dem Land Hessen um den Pachtvertrag mit Erfolg im Jahre 1968 0:43:36
Also es war so eine Umbruchsituation. Und jetzt folgten nun diese zehn Jahre eines Interregnums hier auf dem Dottenfelderhof, 1957 bis '68 - oder '58 bis '68. 1964 haben wir jetzt neu mit dem Land Hessen verhandelt - und es war eine Verhandlung des JEINs. Jein - das sagt man heute nicht mehr so sehr - Ja und Nein. Also man hat nie Nein gesagt, sondern immer so JEIN. Es war verzweiflungsvoll für uns, richtiggehend verzweilflungsvoll. Wir haben uns auch nach anderen Objekten umgeguckt, aber das hatte alles gar keinen Sinn, und uns wurde immer wieder nahe gelegt: Menschenskinder, warum hängt denn ihr an diesem Dottenfelderhof und habt mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen, es gibt doch bestimmt noch andere Objekte in Deutschland!? Und letzten Endes mussten wir sagen: Nein! Man muss treu sein zu dem, wozu man sich entschlossen hat, und dann kommt einem auch Hilfe. Und das war aber hart, es war wirklich eine sehr harte Nuss: Vier Jahre Verhandlungen, nie wissend wohin das geht, mit maßlosen Widerständen und Intrigen gegen uns. Wir hatten ganz wenige Leute im Ministerium, auf deren Hilfe wir hoffen konnten.
Schließlich und endlich war es dann gelungen, im Jahr '68, einen Pachtvertrag zu bekommen, der hart, hart, hart, hart erkämpft worden ist - weil das war nämlich die 4. Version, die wir dann schließlich und endlich akzeptieren mussten. Vorher war es vergleichbar so, dass der Pachtvertrag selber wie ein Mordinstrument war. Nachher war es nur wie die Schlinge um den Hals, die einem noch mitgeliefert worden ist. Es war so unbeschreiblich! Die wollten mit allen Mitteln verhindern, dass wir hier auf dem Dottenfelderhof Fuß fassen, weil der Hof selber der Nassauer Siedlungsgesellschaft gehörte - heute heißt es HLG, Hessische Landgesellschaft, und das war ein verlängerter Arm des Staates auf dem hiesigen Gebiet der Bodenspekulation. Die ganze staatliche Bodenspekulation mit dem Instrument der Siedlungsgesellschaft. Und die hatten absolute Vorrechte, das Vorkaufsrechts auf den Grund und Boden vor allen Dingen - aus dem Bodenreformgesetz, welches nach dem Zweiten Weltkrieg erlassen worden ist, usw. Also jedenfalls, wir hatten eine vollkommen schwache Position. Wir konnten nur mit unserem Ideal kämpfen, mit unseren Ideen kämpfen, sonst hatten wir nichts zur Verfügung. Und das war auch eine Schule fürs Leben.
Seinen eigenen Ideen vertrauen 0:46:44
Und jetzt möchte ich Ihnen ans Herz legen, dass es wirklich so ist: Wenn man seinen eigenen Ideen vertraut - und nicht nur jetzt die irgendwo stilisiert zu einem Dogma - sondern dass man immerfort diese lebendig erhält im Bewusstsein und treu zu dieser Idee bleibt und die ständig prüft an der Wirklichkeit, an den Widerständen, die einem von außen entgegenkommen, dann ist eine solche Idee.... - ich möchte sagen, die bricht jeden Widerstand!
Heute glaubt man, Widerstände dadurch brechen zu können, dass man Krieg führt, so im großen Stil. Man meint ja immer noch, das ist ein Böser, und da kann ich nicht lange warten, ich muss jetzt einen Krieg führen und dann ist der andere tot, im besten Falle, bzw. irgendwie muss ich den beseitigen. Das ist keine Methode der Zukunft mehr, sondern wenn man in die Zukunft wirken will, dann einzig und allein mit geistigen Waffen. Geistige Waffen brechen jeden Widerstand. Also das ist meine Lebenserfahrung von A bis Z. Man muss treu zu dem stehen, was man als richtig und wahr - nicht nur richtig sondern auch wahr - für sich selbst erkannt hat - und dazu stehen - unverbrüchlich - und immerfort mit Geduld warten, warten, warten, warten. Und uns wurde die Geduld aufgezwungen. Wir waren natürlich auch ungeduldig, klar, und wir konnten manchmal nicht mehr so richtig warten.
Pachtvertrag mit nur 5 Jahren Laufzeit, Widerstände-aber man hatten den Fuß in der Tür! 0:48:37
Also es war wirklich eine ungeheuer angespannte Situation, denn wir hatten den Staat zum Gegner, und nur wenige Unterstützer - auch der Minister, der war so ambivalent - und dann haben die uns einen Pachtvertrag diktiert, der war wirklich so, dass jeder landwirtschaftliche Sachverständige in Deutschland gesagt hätte, den könnt ihr nicht annehmen, dann habt ihr die Schlinge um den Hals mitgeliefert. Und uns war klar, also das war unbillige Härte. Aber ich hab' mir damals gesagt: Einmal den Fuß zwischen Tür und Angel, schmeißt uns niemand mehr hier von dem Hof runter. Und so war es dann auch, also bis zum heutigen Tag jedenfalls. Aber das war noch ein harter, harter, harter Kampf. Dieser Pachtvertrag, der war auf fünf Jahre begrenzt, und wir hatten die Verpflichtung zur Inventarübernahme, die haben sie einfach abgewälzt auf uns. Wir mussten das ganze alte Gelerch, was hier seit Jahrhunderten sich angesammelt hat auf dieser Räuberburg - der Hof sah wirklich wie eine Räuberburg damals aus - alles was da verrostet rumlag, das mussten wir alles kaufen. Zum Verkehrswert quasi wurde das geschätzt und musste also erworben werden. Und so der ganze Viehbestand, so die ganze Maschinerie, die gar nichts mehr taugte, und auch was baulich hier verändert wurde, das mussten wir kaufen. Wir mussten 400.000 - D-Mark damals, ein Haufen Geld! - als Schätz-Ergebnis auf den Tisch des Hauses legen. Und das war jetzt auf fünf Jahre begrenzt - wenn wir nicht bestimmte Bedingungen erfüllen.
Eine neue Sozialform- Vision vom selbstbestimmten Mitarbeiter 0:50:39
Und eine Bedingung war - das hab' ich jetzt noch gar nicht erzählt - wir haben gesagt wir müssen hier eine neue Sozialform entwickeln und die hieß "Betriebsgemeinschaft". Wir haben gesagt wir können nicht mehr mit Lohnarbeitskräften arbeiten - das ist heute anders geworden hier auf dem Hof - also, es darf keine Lohnarbeitskraft mehr geben, die Lohnarbeit muss abgeschafft werden, stattdessen muss jeder selbstbestimmt hier Mitarbeiter sein, selbstbestimmter Mitarbeiter. Das war unser Ideal. Jeder muss motiviert sein, aus der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise sich hier einzubringen in diesen Prozess. Und das war der Grund, warum wir die Betriebsgemeinschaft gegründet haben. Wir waren überhaupt nicht sozial gestimmt. Also wenn jemand mit einer sozialen Frage gekommen ist, hat es uns überhaupt nicht interessiert, sondern wir kamen darauf, weil wir gesagt haben, die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise verlangt nach einer Diversifizierung der verschiedenen Arbeitsbereiche und Betriebszweige in Viehhaltung, in Ackerbau, in Gartenbau und Obstbau und Wiesenwirtschaft und Weidewirtschaft, Heckenbau, Gewässerwirtschaft usw.. Also das muss ein Ganzes bilden. Ein landwirtschaftlicher Betrieb muss die ganze Landschaft abbilden, in der er sich befindet, und dazu gehört die Viehhaltung, und dazu gehört alles dazu. Ergo brauchen wir Menschen, viele Menschen, die in der Lage sind, diese Vielheit zu bewältigen.
Gestalten eines Organismus aus einem geistigen Quell 0:52:23
Das war das Motiv für die neue Sozialform, und so seh' ich's auch heute noch. Bitte, nicht glauben, man könnte sozial sein und jetzt aus irgendwelchen wunderschönen Empfindungen heraus, was ideal wäre für die Zukunft, so Gemeinschaften bilden. Das kann man alles vergessen! Kann man alles vergessen! Die entstehen ganz anders. Die entstehen aus einem geistig realen Motiv. Man muss selbst genau wissen, was man will - und der andere eben auch. Und wenn man sich in diesem jeweiligen Wollen trifft, dann kann man zusammenarbeiten - und zwar nicht begrenzt irgendwie, dass man meint, übermorgen knallt es wieder auseinander - sondern da kann man wirklich geradlinig in die Zukunft arbeiten, wenn man sich im Motiv trifft mit dem anderen Menschen. Und daraus entsteht die neue Sozialität, daraus entsteht die neue Gemeinschaft. Die Gemeinschaft ist ein Resultat von etwas, es ist nicht der Ausgangspunkt. Das bitte ich Sie mal ganz streng zu nehmen, aber ganz streng zu nehmen. Weil - wenn man sich dessen klar ist, was man geistig aus seinem geistigen Quell selber vor sich selbst verantworten kann und was man für wahr empfunden hat, was der innerste Impuls seiner eigenen Biographie sein will - und man erkennt, da ist jemand anders, der will das auch so, der sieht die Gestaltung eines Organismus, einer Landwirtschaft als einen Entwicklungsweg in die Zukunft - wer sich in diesem Grundgedanken zusammenfindet... - so eine Gemeinschaft könnte dann auch wirklich relativ unzerstörbar sein. Die trägt!
Und dann kommt natürlich als Zweites dazu: jetzt muss ich die Gemeinschaft auch gestalten. Das ist klar. Ich kann nicht einfach sie so gehen lassen, sondern - so, wie ich die biologisch-dynamische Landwirtschaft, meinen Betrieb zu gestalten suche, so muss ich dann auch die Zusammenarbeit derer, die die Gemeinschaft bilden, durchgestalten, und zwar jeden Tag neu. Das ist eine riesen Herausforderung.
Beginn der Betriebsgemeinschaft mit 5 Familien 0:54:53
Naja, so haben wir dann gesagt, 1968, wir müssen mindestens fünf Familien sein, die hier die ganze Arbeit bewältigen. Selber Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Person. Keine Lohnarbeitskräfte mehr. Das war das Ideal. Und wir hatten dann natürlich noch sozusagen alte Mitarbeiter des Hofes dann übernommen, mussten wir übernehmen, die wussten ja nicht was sie jetzt machen sollen. Da haben wir gesagt, ihr könnt hier Euer Gnadenbrot haben auf dem Hof - solange bis ihr 65 seid und in Rente geht, könnt ihr hier auf dem Hof weiter Mitarbeiter sein. So zog es sich auch noch über Jahre hin, dass die dann noch da waren, bis in die siebziger Jahre. Aber das eigentliche Ziel war die Betriebsgemeinschaft, und auch offen lassend, ob es noch mehr Familien werden können. Also mein Ideal, auch noch heute, das ist, dass man nur noch mit Menschen einen Hof führen kann, idealiter, wo jeder einzelne Mitarbeiter motiviert ist und selbstbestimmt motiviert ist. Und dann kann man wirklich sagen, bitte, jetzt können wir zusammenarbeiten. Wir haben nie hier auf dem Hof einen Gesellschaftsvertrag gehabt. Heute bedauere ich das, muss ich sagen, unter den heutigen Gesichtspunkten, aber damals war das so. Wir waren so motiviert, diese fünf Familien, dass es nie jemandem eingefallen wäre, einen Gesellschaftsvertrag irgendwie zu machen, sondern wir haben gesagt, alle Probleme, die sich ergeben, die müssen aus den konkreten Zusammenhängen des Zusammenlebens und Arbeitens hier, auch ihre Lösung finden. Das war eine Schule des Lebens.
Die ersten 5-7 Jahre (bis 1973/75) waren hart; Politischer Druck- die Zukunft war unsicher 0:57:00
Und ich muss sagen, die ersten fünf Jahre, wo uns dieser furchtbare Pachtvertrag aufgedrängt worden ist - in dem hieß es also zunächst mal: Wir mussten nachweisen die Funktionsfähigkeit der Betriebsgemeinschaft; wir mussten nachweisen, dass unsere Buchergebnisse keine Gefährdung der Wirtschaftlichkeit zulassen; wir mussten mit gläsernen Taschen arbeiten - jederzeit konnten die kommen und uns prüfen wie das ist. Das Dritte war, es durfte keine Minderung der Bodenfruchtbarkeit eintreten - ein ganz schwieriges Problem! Da war das Institut für Bodenkunde in Gießen von der Universität beauftragt, das zu prüfen. Das können die ja nur analytisch machen.... Dann hieß es: Und wenn dann kein überwiegend "Öffentliches Interesse" besteht, dann können wir erwarten, dass wir eine Verlängerung des Pachtvertrages bekommen. Und die Technik von der Siedlungsgesellschaft in den folgenden fünf Jahren war dann gewesen, hier also ein Öffentliches Interesse zur Geltung zu bringen, indem sie hier das Untersuchungsgefängnis der Stadt Frankfurt auslagern wollten auf den Dottenfelderhof; dass sie - als das nicht geklappt hat - die Bauern vom Niederurseler Hang aussiedeln wollten hier auf den Dottenfelderhof, weil dort die Universität von Frankfurt hingebaut werden sollte; und dann sollte das große zentrale Ersatzteillager von VW in ganz Europa hier auf dem Hof gebaut werden; und schließlich sollte hier ein Vergnügungszentrum gebaut werden - das war das letzte, das größte Problem geworden - ein Vergnügungsszentrum mit Trabrennbahnen und einem 200-Betten-Hotel.
Das war alles spruchreif, das war politisch schon überall verhandelt, wir hatten keine Ahnung, und es wurde uns eines Tages gesteckt von einem Insider. Da sind wir sofort an die Presse - sind das erste Mal politisch geworden, sind an die Presse gegangen und haben das an die große Glocke gehängt. Da ist das Ganze wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, weil das alles Schwarzgelder aus Berlin waren, mit denen die das machen wollten.
Kein Geld und schlechte Perspektiven 0:59:26
Also, verstehen Sie, nur um das als Beispiel zu nennen, in welche Situationen man da geraten kann, und wie wir unbeeindruckt.... - wir waren beeindruckt, selbstverständlich, von diesen Problemen - aber wir haben gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet. Also die ersten sieben Jahre meines Wirkens hier auf dem Dottenfelderhof von 1968 bis '75 waren so, dass ich nichts weiß, was in der Welt vor sich gegangen ist in der Zeit. Tag und Nacht im Einsatz! Nachts die Schlepper repariert - das war ja alles kaputt, was wir da übernommen hatten, und wir hatten ja auch kein Geld. Wir hatten überhaupt kein Geld. Wir waren arm wie die Kirchenmäuse, weil, von diesen 400.000 DM, die wir damals bezahlen mussten, um das Inventar zu erwerben, davon hatten wir noch nicht mal die Hälfte. Das andere mussten wir uns irgendwie her besorgen.
Ich bin damals mit dem Herrn Becker, Ernst Becker, noch vor Pachtantritt durch Deutschland gereist - von Nord nach Süd, von Ost nach West - und da haben wir Menschen gefragt: Könnt ihr uns Kredite geben? Wir konnten ja den Banken keine Sicherheiten bieten. Nichts! Gar nichts - weil wenn man keine Sicherheiten bieten kann, kriegt man auch keinen Kredit von der Bank. Und da sind wir wirklich rumgefahren und haben Menschen gefragt: Könnt ihr uns nicht helfen, könnt ihr uns nicht zinslose Darlehen geben oder auch Schenkungen oder was es sein mag, nur, wir brauchen Geld, wir brauchen mindestens 150.000 DM - und dann natürlich auch noch Kapital, um hier überhaupt anfangen zu können.
Na ja, ich weiß nicht, ob ich diese Geschichte im Einzelnen weitererzählen soll... Es war also abenteuerlich, weil, diese Rumreiserei in Deutschland hat also 25.000 - D-Mark damals - vielleicht erbracht, mehr aber auch nicht. Wir waren verzweifelt. Wir hatten jetzt die Chance hier, diese Pacht zu übernehmen. Aber... - wo das Geld herkriegen? Und zuletzt hat uns in Stuttgart bei einem Besuch ein Rechtsanwalt gesagt: Ach, ich kann euch nicht helfen, das ist ganz aussichtslos, und ich wüsste auch nicht wer. Aber fahrt mal nach Bochum, da ist ein ganz Verrückter, dem könnt ihr mal euer Problem vortragen. Das haben wir dann sofort gemacht, sind zu fünft nach Bochum gefahren, nachts, spät abends - der hat uns erst auf spät abends bestellt in seinem Büro, und da haben wir ihm unsere Geschichte erzählt, zwei Sunden lang. Der hat da zugehört und hat dann gesagt: Gut, das hab' ich gehört.. - und jetzt erzähl' ich Ihnen mal meine Geschichte. Und da hat er uns erzählt, wie er die "Gemeinnützige Treuhandstelle" begründet hat mit anderen zusammen, wie er die "Gemeinnützige Kredit-Garantie-Genossenschaft" begründet hat - wenige Monate bevor wir da hin gefahren sind! Da haben wir gesagt: Menschenskinder, das ist ja genau das, was wir brauchen, eine gemeinnützige Kredit-Garantie-Genossenschaft - also wo eine Gemeinschaft sich bildet, die durch Einlagen kreditfähig wird bei einer Bank und dann dadurch in die Lage versetzt wird, Kredite zu vermitteln an Bedürftige. Da haben wir gesagt, ja das ist doch unsere Lösung! Und dann ging's da bis nachts um zwölf, ein Uhr, zwei Uhr... Und dann hat er gesagt: Ich helfe Euch! Also, Ihr könnt damit rechnen, dass hier bei der endgültigen Obmanns-Taxe - wie man das nennt - dass Ihr Euer Geld habt! Und tatsächlich, als wir das Inventar übernommen haben, hatten wir einen Scheck über die Gesamtsumme und konnten das Inventar erwerben!
Wir haben ja immer gemeint, das wäre uns jetzt vermittelt durch die Garantie-Genossenschaft! Aber eineinhalb Jahre später rückte uns die Commerzbank Bochum auf die Pelle und hat gesagt: Ja also, wir müssen jetzt Sicherheiten bieten. Da haben wir gesagt: Ja, das kann doch nicht wahr sein! Wir müssen Sicherheiten geben... - woher? Das war doch ganz anders veranlagt...!? Ja, wir müssten Sicherheiten bieten, also die hätten eine Revision gehabt in der Bank, und es wurde als fauler Kredit eingestuft. Als fauler Kredit... - also waren da sehr unsicher geworden. Und dann hab' ich immer angerufen in Bochum: Was sollen wir jetzt machen? Dann hat der gesagt: Ach, Papierkorb, Papierkorb! Die Mahnungen, die da von der Commerzbank Bochum kamen: Papierkorb, Papierkorb! Das ging so ein paar Monate, und dann wurden wir aber so derart unter Druck gesetzt, dass wir irgendeine Lösung finden mussten. Und da haben wir erst rausgekriegt damals, dass die Kredit-Garantie-Genossenschaft gar nicht genügend Einlagen hatte, um die volle Summe zu garantieren, sondern nur 40.000 - D-Mark damals - und das andere hatte der Rechtsanwalt Barkhoff auf seine eigene Kappe genommen. Ein Mensch hat gesagt: Was die wollen, das ist Zukunft, und dafür stehe ich ein und hat gegenüber dem Chef von der Commerzbank... - hat den so beschwätzt - Rechtsanwälte können das ja - dass der das Geld freigegeben hat! Und eben jener Direktor Lindemann von der Commerzbank Bochum ist sieben Jahre später gestorben, lag auf dem Krankenbett, und da ist er nochmal besucht worden von einem von der damals schon begründeten GLS-Bank Bochum, und da hat der ihn gefragt: Sagen Sie mal, Herr Direktor Lindemann, was war nun eigentlich das herausragendste Ereignis ihres Lebens? Da kam wie aus der Pistole geschossen die Antwort: Der Kredit an den Dottenfelderhof! Da hat der gefragt, ja warum eigentlich? - Und der antwortet: Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich bestätigt bekommen, dass man einen Kredit auf Vertrauen geben kann. Und das heißt ja eigentlich "Kredit". "Kredit" heißt ja, letztlich eigentlich, "auf Vertrauen". Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das gemerkt.
Nach Prüfung auf Herz und Nieren: 1973 Pachtvertrag per Ministerbeschluss 1:06:18
Also, so sind die Umstände, wenn man sozusagen zu seiner Idee steht und unverbrüchlich das, was man für richtig und wahr hält, auch wirklich tut. Dann kommen einem plötzlich von außen Konstellationen zu, die einem helfen, das Problem zu lösen. Und das, was für dieses Beispiel gilt, das gilt für die gesamte Entwicklung des Dottenfelderhofes seither. Alles, was hier steht, also dieses Gebäude... - das war ja früher Scheune, da lag Heu, als wir hier angefangen haben - unten war der Pferdestall und anschließend war der Kuhstall - wo jetzt da unten der Laden ist, die Küche ist usw., das war der Kuhstall. Also das war eine wirkliche Räuberburg, kann man gar nicht anders sagen. Total zerfallen. Als wir herkamen, tropfte es durch die Decke durch unter jedem 2. Dachziegel. Hier im Haupthaus stand eine Wanne oder ein Eimer oder irgendwie... - es war also wirklich... unbeschreiblich. Da ist seit Jahrzehnten, Jahrzehnten - eigentlich fast ein Jahrhundert - überhaupt nichts mehr groß gemacht worden. Und dann kam uns aber im entscheidenden Moment doch immer wieder die Hilfe.
Und das schildere ich jetzt auch nochmal, weil das auch einfach mit meiner eigenen Biografie im Zusammenhang steht: Nachdem wir die fünf Jahre schließlich bewältigt hatten und in einem pachtlosen Zustand uns befunden haben - die haben uns so hingehalten, dass wir sogar eine Klageandrohung an das Land Hessen in petto hatten - war es dann durch die verschiedensten Umstände gelungen, doch den Minister zu bewegen, uns einen neuen Pachtvertrag zu geben - die Siedlungsgesellschaft hätte das nicht gemacht. Die renommiertesten Gutachter Deutschlands waren berufen - zwei hintereinander, weil sie dem ersten nicht trauten, weil sie geglaubt haben, wir hätten den geschmiert. Der erste hat auf Herz und Nieren den Dottenfelderhof durchgecheckt: Jeden Acker: auf Unkrautbesatz, die Bestandessdichte usw.,usw.. Den ganzen Tierbestand: Die Kühe, in Bezug auf Gesundheit und Krankheit und alles, alles, alles. Jede Ecke wurde durchgecheckt, und es wurden Gutachten gemacht, und das Gutachten fiel zu unseren Gunsten aus. Das war '73. Nach fünf Jahren! Und dann haben die uns nicht geglaubt, und haben - nochmal - den zweit bedeutendsten Gutachter uns auf den Hals geschickt, haben da keine Kosten gescheut, und der ist ebenso das auf Herz und Nieren nochmal durchgegangen. Alles! Wieder ist ein positives Gutachten draus geworden. Also es war eine Sternstunde für uns. Aber trotzdem haben die nicht reagiert. Und dann, erst durch den Ministererlass, wurden die dann quasi gezwungen, uns einen Pachtvertrag zu geben - das war auch die dritte Version erst - nach den Pachtbedingungen des Landes Hessen. Und da waren wir schon ein bisschen aus dem Schneider, dass die nicht uns ihre Pachtbedingungen aufgezwungen haben, sondern die, die offiziell für die Domänen des Landes Hessen gelten.
Und dann zog sich das so durch die 70er Jahre, und das war ein einziges Tohuwabohu, die 70er Jahre für uns. Es war für mich persönlich hier auf dem Hof, von '68 bis '80 allemal, auch wirklich die schönste Zeit auf dem Hof hier. Diese Kämpfe, diese Auseinandersetzungen und diese Armut, Geldknappheit - wir mussten ja auch investieren und all das... - das war die schönste Zeit meines Lebens! Wochenende gab es nicht. Es wurde durchgearbeitet. Wochen durch, durch. Monate durch, Jahre durch - und vielfach Tag und Nacht. Man fragt sich manchmal, wann man überhaupt geschlafen hat.
Unaufhörlicher Druck auf den Dottenfelderhof; 1979 Die Denkschrift; 19,5ha Landkauf 1:10:57
Und da hat man gemerkt was es bedeutet, wenn man sich nicht durch die äußeren Verhältnisse zu sehr bestimmen lässt, sondern innerlich zu dem steht, was man selber will. Und dann kommt plötzlich eben, wie gesagt, diese Hilfe. Und so war es dann auch. 1979 - als wir da so verzweifelt waren - haben wir ein Wagnis gemacht, denn wir wurden so derart bedrängt - die haben Intrigen gesponnen im Land Hessen, man glaubt es nicht, was die da durch die Lande an Gerüchten geschickt haben - also heute nennt man das "fake news", also Verleumdungen und weiß ich was alles, gegen den Dottenfelderhof. Man glaubt nicht, dass ein Staat sich sowas leisten kann. Und da haben wir nun den größten Feind aufgesucht im Ministerium in Wiesbaden - der war inzwischen Staatssekretär geworden - und dem haben wir gesagt, wir wollen jetzt eine längerfristige Sicherung für den Dottenfelderhof haben. Da haben wir... - also ich brauch' das jetzt nicht im Einzelnen schildern - jedenfalls, denen sind plötzlich die Schuppen von den Augen gefallen: Nach zwölf Jahren Zusammenarbeit von fünf Familien... - das hat der nie für möglich gehalten, dass das überhaupt je, je, je klappt. Und dann sagte er am Ende: Arbeitet eine Denkschrift aus! Und da wusste ich: Jetzt haben wir gewonnen! Jetzt haben wir gewonnen! Wenn wir jetzt eine Denkschrift ausarbeiten, dann liegt es nur noch bei uns, ob die wirklich Akzeptanz findet, auch in der Regierung und darüber hinaus.
Die haben wir dann auch gemacht, und tatsächlich ist es dann gelungen, hier 19,5 Hektar des Dottenfelderhofes zu kaufen, einschließlich der Gebäude. Hatten aber kein Geld! Wir haben einfach gesagt: Wir kaufen das jetzt, also Schluss, aus! 20 Hektar. Zuerst wollten sie uns nur fünf Hektar geben - und zwar das Argument war nur, dass wir Kredite bei den Banken aufnehmen, dass wir Sicherungen anbieten können - und dann haben wir so lange verhandelt, bis wir bei 19.5 Hektar gelandet sind. Und das ist alles das Land, was uns abschirmt gegen die Ausweitung der Stadt Bad Vilbel. Deswegen können die hier über die Straße nicht mehr rüber. Das Land dahinter haben wir alles verloren. Die Siedlungen, die dahinter stehen, die gehörten alle früher zum Dottenfelderhof. Naja...., da hatten wir kein Geld! Und da ich nun schon seit 1970 in Bochum im Aufsichtsrat der Gemeinnützigen Treuhandstelle saß und bei der Bankengründung der GLS-Gemeinschaftsbank mit beteiligt war und laufend mit denen natürlich da in Verbindung stand, und die auch mit Interesse die ganze Sache hier auf dem Dottenfelderhof verfolgt haben, hat sich die Treuhand entschlossen, uns das Geld für den Kauf dieses Landes als zinsloses Darlehen zur Verfügung zu stellen. Das waren 1,67 Millionen!!! Das war wirklich... - da waren die Himmel offen! Die haben die letzten Kröten zusammen gekratzt, die sie hatten, und haben es als zinsloses Darlehen uns zur Verfügung gestellt. Wir hatten natürlich schon damals, 1974, die Landbauschule Dottenfelderhof begründet, die war ja als gemeinnützig anerkannt - also haben wir die Landbauschule zum Eigentümer des Ganzen gemacht, und dann hat die Treuhand uns kreditiert, zinslos, und nach zehn Jahren es verwandelt in eine bedingte Schenkung. So kann's einem gehen.
Naja,... ich muss es jetzt abkürzen, sonst können wir endlos da weitermachen. Jetzt konnten wir überhaupt erst investieren - vorher konnten wir überhaupt nicht investieren - aber hatten natürlich auch kein Geld. Wir mussten einen neuen Kuhstall bauen, da waren ja noch die Kühe unten drin. Da haben wir erst mal die "Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelderhof" begründet - weil wir gedacht haben, wir müssen doch der Treuhand irgendwas wieder auch zurückgeben - und die Idee war: Wir bilden eine Gemeinschaft von Menschen, die hier Anrecht auf ein Stück Grund und Boden von einem Morgen, 2500 Quadratmeter, realisieren können, und zahlen dafür 3000 DM - à fonds perdu - und diese geben wir an die Treuhand zurück. Da kamen auch ein paar hunderttausend DM zusammen irgendwie, ich weiß nicht mehr wieviel genau. Und da haben wir erst mal die "Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelderhof" begründet, also Menschen, die im Umkreis des Hofes stehen und interessiert sind an dieser ganzen Entwicklung hier und sich letztlich mit verantwortlich fühlen für die ganze Führung und die ganze Initiative, die sich hier entwickeln will. Die besteht ja heute noch, die Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelderhof. Aber das ist eine Frage für sich.. - jedenfalls habe ich immer gehofft, dass diese Landwirtschaftsgemeinschaft in der Lage wäre, so viele Kredite zusammenzukratzen, dass wir den Kuhstall bauen können. Und da hab' ich gemerkt, die sind alle viel zu bürgerlich. Also 3000 DM - zunächst - das ging ja noch. Aber sich mehr zu engagieren.. - da merkte ich, da hätte man Jahre rummachen müssen.
Ein unerwarteter Geldsegen- Bau des Kuhstall 1:17:15
Und dann war es wieder so - es war eine verzweiflungsvolle Situation - und eines Tages krieg' ich einen Anruf am Telefon, und der Mann, der da sprach sagte, er hätte gehört, dass wir einen Kuhstall bauen wollen. Da hab' ich gesagt, ja, das ist allerdings so. Da hat er gesagt, ja, er könnte ja auch mal Weihnachtsmann spielen. Und da musste das sofort vereinbart werden für den nächsten Tag - ich war gerade auf dem Weg nach England - und dann kam der da mit 'nem dicken Mercedes angefahren, und da haben wir uns kurz unterhalten und ich hab' gesagt, ja also das ist unsere Notlage jetzt, und was er denken könnte, was er beisteuern kann. Da hat er gesagt: 500.000 DM. Einfach so, zack!
Jetzt muss ich dazu sagen, dass hier kurz vorher, eineinhalb Jahre vorher, die Betriebsgemeinschaft Dottenfelderhof bei der Begründung der Landwirtschaftsgemeinschaft sich entschlossen hat, binnen einer halben Stunde, das gesamte Eigentum herzuschenken. Alles was wir erworben hatten, ergab durch offizielle Schätzung einen Wert von 1,2 Millionen damals - der ganze Etat und was wir so inzwischen da aufgebaut hatten - und da haben wir gesagt, die wollen wir gar nicht haben, das kann die Landwirtschaftsgemeinschaft haben, das kann die Landbauschule haben. Und ich bin absolut der Überzeugung, noch heute, dass dieser Mensch aufgekreuzt ist, weil wir das gemacht haben. Die Dinge gehen ganz anders im Leben, als man sich normalerweise denkt. Dass der plötzlich aufgekreuzt ist... - also ich wusste von dem schon, weil ich den in Bingenheim anlässlich von zwei Vorträgen, die ich Ende der 70er Jahre dort zu halten hatte bei so Elternzusammenkünften von Behinderten kennengelernt hatte - denn er hatte zwei schwerbehinderte Söhne und war auch dort. Und da sagte er schon damals, ich könnte mich an ihn wenden, wenn irgendwas wäre. Ich hab' das längst vergessen gehabt, ich hab' überhaupt nicht mehr daran gedacht, sondern es ging um eine ganz andere Ecke herum, dass der aufmerksam wurde auf unsere Notlage. Und plötzlich hatten wir das Geld, und am Ende hat er den ganzen Stall finanziert. Allerdings unter sehr starker Beteiligung von uns selbst hier auf dem Hof. Und dann hat er zuletzt auch mir noch geholfen, das hier zu machen: Diese Sache hier oben, da standen wir zusammen, er, dieser Mann und ich, und haben diese Bühnenumkleidung gemacht.
Also so laufen die Dinge im Leben. Und darauf muss man einfach vertrauen. Aber es hängt immer davon ab, ob man in dem was man will, zu dem stehen kann - aber in Selbstlosigkeit. Das heißt - also bitte keine moralische Unterwanderung dieses Wortes - sondern ganz objektiv gesprochen: Dass man auch nicht im Leisesten dabei an sich selber denkt, sondern rein an die Aufgabenstellung, an die Zielsetzung, um die es wirklich geht. Dass man von sich selber, so weit es nur irgend geht - ganz kann es ja nie sein, denn man will ja was, das hat immer auch einen subjektiven Zug - aber man muss doch in Selbstbeobachtung irgendwo sich ganz klar sein: Du willst etwas für andere, du stellst dich zur Verfügung. Und wenn das die Grundgeste ist im Sozialen, dann kommt einem Hilfe von außen. Und die Quelle, wo es herkommt, die ist jeweils immer wieder eine andere. Nicht die, die man sich denkt. Ja, so lief das auch hier mit der ganzen Landbauschule, das alles hier mit den Jahren (Ergänzung: durch die finanzielle Hilfe dieses Mannes entstand). Und jetzt muss ich doch noch kurz wenigstens das abrunden.
1987- der Ruf aus Dornach 1:22:10
Im Jahr '87, nach all diesen Geschehnissen - der Stall war gebaut, das hier war auch soweit schon fertig, es lag in meiner Regie, das alles zu machen - da musste ich mich entscheiden zu einer noch anders gearteten Aufgabe. Und das war mir sehr schwer gefallen, weil das schon mehrfach an mich herangetragen worden ist im Verlauf der 80er Jahre, seit Anfang der 80er Jahre. 1987 musste ich mich entscheiden, die Aufgabe in Dornach zu übernehmen für die Sektionsarbeit am Goetheanum für die biologisch-dynamische Landwirtschaft weltweit. Das ist mir sehr, sehr schwer gefallen, und ich hab' sehr lange mit mir gerungen. Mein Vorgänger war der Professor Koepf in Hohenheim, bei dem ich auch promoviert hatte damals - also wir kannten uns schon lange, am Emerson College hat er ja den dortigen Studiengang aufgebaut - und dann musste ich mich entschließen, den Dottenfelderhof zu verlassen. Das war eine ganz harte Sache, also wirklich... Ich fühlte mich so verbunden mit diesem Hof und mit der ganzen Initiative hier - seit '55 war ich hier mit dem Hof innigst verschwistert sozusagen!
Und dann bin ich nach Dornach gegangen, hab' aber mir noch ein ganzes Jahr ausbedungen, um mir das genauestens zu überlegen und hab' dann viele, viele Menschen gefragt in der Anthroposophischen Gesellschaft, und wo immer irgendwo eine geistige Größe auftauchte hab' ich gefragt: Könnt ihr mir sagen, was die eigentliche geistig-spirituelle Bedeutung der Sektionsarbeit in Dornach ist? Ich war damals schon länger auch im Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland gewesen, also ich kannte diese ganzen Leute, die da damals das Sagen hatten, also hatte Gesprächspartner. Keiner konnte mir eine Antwort geben. Dann hab' ich angefangen - in einem Jahr - die gesamten Darstellungen Rudolf Steiners durchzuarbeiten im Hinblick auf die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, der Bedeutung des Goetheanums, der Neugründung im Jahre 1923, und, und, und, und, und.... Das war ein riesen, riesen Kompendium - nur um mir ein Bild zu machen: Das könnte meine Aufgabe in Dornach sein, jetzt, wo ich vom Dottenfelderhof weggehe - denn ich dachte, das ist doch hier meine Aufgabe! Das war ein hartes Ringen.
Und dann bin ich da hin... - und bin heute noch dankbar, dass es also diesen Weg genommen hat. Obwohl ich mir sagen muss, was konnte ich von dem erfüllen, was da eigentlich wirklich verlangt ist - das ist absolut über-menschlich. Ich hab' das dann 14 Jahre lang gemacht, und es war eine sehr, sehr arbeitsintensive Zeit. Das hat mich ja in die ganze Welt geführt dann, in alle Länder - also Russland nicht, aber sonst nach Osten, Westen, Süden, was weiß ich. - Afrika, Südamerika war ich damals auch mehrfach usw., usw.. Es war also eine sehr reiche, reiche, sehr reiche Zeit! Aber es hat einen wirklich an Grenzen geführt, also Grenzen der eigenen Möglichkeiten. Man war immer eigentlich grenzwertig irgendwo in Bezug auf die Herausforderungen, in denen man stand. Naja, und dann hab' ich nach 14 Jahren die Sachen abgegeben an einen Nachfolger, hab' aber noch als freier Mitarbeiter weiter in Dornach gewirkt, weil ich krankheitshalber - das war damals eine sehr schwierige Zeit - diese Sektionsleitung nicht mehr aufrechterhalten konnte.
2010 zurück an den Dottenfelderhof 1:26:40
Und dann kommt schließlich auch der Moment, im Jahr 2010, dass ich hier wieder auf den Dottenfelderhof zurückgekommen bin, um hier nochmal an der Landbauschule so ein bisschen mitzumischen. Ja..., ich möchte damit vielleicht die Sache beschließen, was ich schon gesagt habe: Also, wenn man auf die eigene Biografie zurückschaut, dann muss man sagen: Nichts war zufällig! Nichts war zufällig! Alles hatte seine Bedeutung. Man merkt, dass es eine geistige Führung gibt. Eine geistige Führung. Dass man schicksalsmäßig nicht irgendwo ins Blinde tappt, sondern: Der mir das Bein abgehauen hat damals... - das war mein eigener Engel, der dem den Stiefel geführt hat, so hab' ich das empfunden. Also das hat dem Schicksal die Wendung gegeben... - wo ich sagen muss, als Anthroposoph - also der ich mich darum bemühe einer zu sein - dass ich schon im Vorgeburtlichen mich dazu entschlossen hatte. Aber dass es sich verwirklicht, das bedeutet: Dass Zeitereignisse eingreifen, räumliche Verhältnisse - wo man eben gerade in Afrika geboren wird, und dann plötzlich hier ist und dann plötzlich dort und überall... Aber da gibt's einen Roten Faden!
Der rote Faden (in der eigenen Biografie) bin ICH 1:28:25
Da gibt's einen inneren Roten Faden, der ist absolut konsistent. Und dieser Rote Faden bin ICH. Das ist mein ICH, das ist mein eigener innerster Wesenskern, das ist das, was unzerstörbar lebt, man möchte sagen von Erdenleben zu Erdenleben. Und so empfinde ich ja eigentlich auch meinen eigenen Werdegang zurückblickend: Dass alle Widerstände, die ich erlebt habe, alle Leiderfahrungen, die ich erlebt habe, alles, was auch immer mir zugekommen ist, das musste, musste so sein, dass man überhaupt aufwacht zu dem, was Sache ist, was die Aufgabe ist, die man im Leben zu erfüllen hat.
Und da kann es, darf es keinen Stillstand geben. Bloß nie stillstehen, das ist das Allerschlimmste, was einem Menschen begegnen kann, dass er plötzlich meint, er könnte sich ausruhen. Das kann es gar nicht geben, sondern es ist eigentlich ein fortwährendes immer weiter Streben, Streben, Streben, Streben. Man kommt nie an ein Ende. Das muss man einfach wissen. Und trotzdem: Das Ziel ist es, was einen immerfort in die Zukunft zieht. Und das Ziel bin ICH SELBST. Das lebt in MIR, ganz objektiv und lebt sich dann nach außen hin nur subjektiv dar als der Manfred Klett, der hier hockt. Aber inwendig ist etwas, was ganz objektiv einen durch's Leben geleitet und das erleben lässt, jenes erleben lässt, diese Erfahrung macht, jene Erfahrungen macht, und wo man am Ende sagen muss: Das, was ich erfahren habe, und was man selber dann geworden ist, danke ich anderen Menschen. Das muss man sich einfach eines Tages eingestehen: Nicht ich, nicht ich. Sondern, was ich da geworden bin, danke ich sozusagen doch den Begegnungen mit anderen Menschen. Und wenn die noch so große Stolpersteine waren für einen selbst, muss man wirklich sagen: Die größten Stolpersteine sind die größten Förderer der eigenen Entwicklung.
Insofern meine ich, die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ist von der Art, dass man nicht meinen kann, das wär' ein Zuckerlecken, dass man da einfach so irgendwie... - weil jetzt heute der alternative Markt gerade mal so toll erschlossen ist - dass man meint, da irgendwas absahnen zu können. Nein! Das ist schon Stillstand! Schon wenn man glaubt, man könnte heute darauf bauen, dass einem sozusagen Preise zukommen, von denen sonst der konventionellen Landbau nur träumen kann - schon das, wenn man so einen Gedanken hat, ist man schon im Stillstand oder schon rückwärts gewandt. Sondern man muss immer - in seinem Bewusstsein - einen großen Schritt voraus sein der eigenen Biografie. Also man muss sich die Laterne selber anzünden, die einem sozusagen im Dunkel des eigenen Lebensweges dann voraus leuchtet.
Ja, also, die Zeit ist um, und das war nur ein kurzer Abriss. Da ist noch vieles, vieles Andere auch geschehen, aber man kann eigentlich nur mit großer Dankbarkeit zurückschauen auf all das, was da auf einen zugekommen ist.
Abschließende Worte 1:32:33
Die Situation heute auf dem Dottenfelderhof ist eine andere als die damals war, gar keine Frage, und es gibt auch immer wieder neue Herausforderungen. Ich bin keineswegs einverstanden mit dem was ist, aber das gehört dazu, dass man sowas erkennt, denn - nur das Beispiel zu nehmen, dass hier jetzt sehr viele Lohnarbeitskräfte auf dem Hof sind, das ist genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich angestrebt haben. Das kam natürlich durch die Weiterverarbeitung, das kam durch den Laden. Das kann man nicht alles bestücken mit Menschen, die jetzt total motiviert sind. Und so merkt man: Die Herausforderungen, die stellen sich immer wieder neu. Man kann sich nie ausruhen auf irgendwas.
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