Begründung und Werdegang des biologisch-dynamischen Landbaus auf dem Dottenfelderhof - Impulse und biografische Momente

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Vorwort

Seit 58 Jahren bin ich mit dem Dottenfelderhof verbunden, mal in unmittelbarer Mitarbeit, mal aus großer Ferne. Mir war schon sehr bald, Ende der 50er Jahre, klar, dass dieser Hof mit seiner weit ins Mittelalter zurückreichenden Geschichte eine Aufgabe in der Wegbereitung der biologisch-dynamischen Bewegung in die kommenden Zeiten hinein hat. Seit der ersten Umstellung des Hofes auf die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise 1946 waren bis 1980 tiefe Einbrüche und große, ungeahnte Widerstände zu überwinden, aus welchen sich erst im vollen Umfang das Bewusstsein für diese Aufgabe heranbildete; ja, jedem dieser Bollwerke, die gegen die Absicht aufgerichtet wurden, dem Hof eine neue, eine biologisch-dynamische Zukunft zu geben, war es zu danken, dass sich die Einsicht und der Wille befestigten und die Flügeltore sich schließlich öffneten, um die Aufgabe in Gemeinschaft ergreifen zu können. Der rote Faden, der sich da über viele Jahre wob, hat sich erst nach und nach in dem Maße enthüllt, als die Schicksalsschritte durchlebt waren. So möchte ich versuchen, aus meinem eigenen Erleben und, gestützt auf die treu geführten Tagebuchaufzeichnungen von L. Klett, diesen roten Faden ein Stück weit auf meine Art nachzuzeichnen. Möge diese Rückschau in das Vergangene im Gegenwärtigen das Bewusstsein schärfen und erhellen für das, was dem Dottenfelderhof in Fortführung des Begonnenen obliegt.

Ich bitte zu entschuldigen, falls Wesentliches zur Sache unerwähnt blieb und einzelne Sachverhalte der Korrektur bedürfen.

Der deutsche Geist hat nicht vollendet,

Was er im Weltenwerden schaffen soll,

Er lebt in Zukunftssorgen hoffnungsvoll,

Er hofft auf Zukunftstaten lebensvoll;

In seines Wesens Tiefen fühlt er mächtig

Verborgenes, das noch reifend wirken muss -

Wie darf in Feindes Machtverständnislos

Der Wunsch nach seinem Ende sich beleben,

Solang das Leben sich ihm offenbart,

Das ihn in Wesenswurzeln schaffend hält!


Rudolf Steiner 1915 (GA 64, S. 184)

Die Vorgeschichte und der Entstehungsmoment 1946

Nach seiner über 1000-jährigen Geschichte im Dienste und aus dem Geiste des abendländisch-christlichen Landbaus wurde im Zuge von dessen Niedergang der Dottenfelderhof 1946 von Ernst Becker (1923-1999) auf die biologisch-dynamische (biol.-dyn.) Wirtschaftsweise umgestellt. Es war dies eine Inauguration in eine noch ungeahnte Zukunft. E. Becker hatte in die schon seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts auf dem Hof ansässige Pächterfamilie Widmer, später Max Abel Erben, eingeheiratet. Er stammte aus Idar-Oberstein aus einer Goldschmiede, und niemand hätte an seiner Wiege wohl prophezeit, dass aus ihm einst ein Landwirt werden würde. Hochbegabt, Klassenprimus, ein Ass im Modernen Fünfkampf und im Kunstturnen, schon als Schüler sich intensiv mit Philosophie beschäftigend, ein Feuerkopf und Freiheitsgeist, meldete er sich 18-jährig freiwillig zum Militärdienst und wurde Kavallerist. Zu Pferde zog er in den Russlandkrieg, erlebte dort die großen Kesselschlachten, wurde in der Schlacht um Moskau beim äußersten südlichen Panzervorstoß schwer verwundet, das Gesicht voller Splitter, das Augenlicht verloren. Das eine Auge wurde herausoperiert, das andere blieb blind. Doch seine Prophezeiung, auf diesem Auge wieder sehend zu werden, bewahrheitete sich nach drei Monaten. Nachdem ihm die Philosophie keine Antwort auf die Lebensrätsel gab, erwartete er eine solche von dem Studium der Atomphysik, hier also, wo der menschliche Geist den kühnsten Vorstoß in die noch unbekannten Gefilde der Bausteine der Materie unternimmt. Aber auch diese Erkenntnisrichtung erwies sich für ihn bald als eine Sackgasse. Das brachte ihn schließlich zu der Frage: Wo bewahrheitet sich letzten Endes alles Wissen der Zeit? Seine Antwort war: In der Lebenswirklichkeit, dort, wo es auf das lebendige Sein und Werden angewendet wird. Das ist in der Landwirtschaft der Fall. Also entschloss er sich zum Studium der Landwirtschaft an der landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim. Seine Zeit dort ist später in die Annalen als die Ära Becker eingegangen. In Hohenheim traf er auf Hans-Jörg Graf von Bothmer, den Sohn des Begründers der Bothmer-Gymnastik. Bothmer öffnete ihm die Tore zur Anthroposophie. Auch begegnete er dort der Kommilitonin Irmgard Abert, seiner späteren Frau. Sie war von München, wo sie ihre Studien begonnen hatte, nach Hohenheim gewechselt, nachdem sie hautnah die große Flugblattaktion der Widerstandsgruppe der "Weißen Rose" und die tragischen Folgen dieses Aufbegehrens der studentischen Jugend gegen den nationalsozialistischen Totalitarismus erlebt hatte.

So bereitete sich in Hohenheim schicksalsmäßig vor, was dann lebensvolle Tatsache im Zusammenhang mit dem Dottenfelderhof werden sollte. E. Becker wurde neben seiner Schwiegermutter, Gerti Abert, Mitpächter. Der Gegensatz beider konnte nicht größer gedacht werden. E. Becker nahm das Zepter in die Hand. Er fand in sozialer und landbaulicher Hinsicht eine Struktur vor, die sich kaum von jener unterschied, wie sie über Jahrhunderte gewachsen war, ja im Grunde durchaus mittelalterliche Züge trug. Was an Neuerungen bestand, die Anwendung von Handelsdünger, die Praxis der Abmelkwirtschaft und eines ausgedehnten Zuckerrübenanbaus, einige technische Neuerungen, tat der Traditionsverhaftung keinen Abbruch. Sozial herrschte eine strenge Hierarchie, innerhalb welcher aber jeder Mitarbeiter, ob Melker, Schweinemäster, Gespannführer, Schmied, Stellmacher, Knecht oder Magd, das ihm in der Rangordnung zugewiesene Arbeitsfeld handwerklich souverän beherrschte. Die soziale Fürsorge lag in den Händen der Pächter und wurde primär von Frau Abert wahrgenommen.

Die Organisation der Landwirtschaft oblag E. Becker. Durch den Flüchtlingsstrom aus den ehemals deutschen Siedlungsgebieten im Osten war der Dottenfelderhof bis in den letzten Winkel mit Bauernfamilien voll belegt. Im Umgang mit diesen Menschen war E. Becker in seinem Element. Sie waren es, die es ihm ermöglichten, bis 1957 den Hof nahezu ausschließlich mit Pferden zu bewirtschaften (fünf Gespanne + Nachzucht). Außer Bindegarn, Schmierstoffen und wenigen Ersatzteilen für Miststreuer und Mähbinder gab es keinen Betriebsmittelinput. Schmiede und Stellmacherei sorgten im Wesentlichen für die Instandhaltung des Inventars. Die warme, menschliche Atmosphäre auf dem Hof war ganz und gar das Werk E. Beckers. Auf seinen fast täglichen Rundgängen durch den Stall und über die Felder zog er die dort arbeitenden Menschen in ein Gespräch, das sie gleichsam über sich selbst emporhob, das die hierarchische Ordnung für Momente auflöste und rein das Verhältnis von Mensch zu Mensch zur Geltung kam. In diesen so freilassenden, geistesgegenwärtig auf die Menschen und ihre augenblickliche Tätigkeit bezogenen Gesprächen war das Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverhältnis überwunden. Die Menschen fühlten sich zur Selbstständigkeit in ihrem Tun aufgerufen, und sie folgten freudig diesem Ruf. Sie brachten E. Becker das größte Vertrauen entgegen, ja, Liebe war es, die ihm zufloss. Das waren die Eindrücke, die sich mir, Manfred Klett, während meiner Lehrzeit 1956/57 nachhaltig einprägten.

E. Becker ging es schon in dieser ersten Phase der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung von 1946-57 um mehr, als den Dottenfelderhof in dieser altehrwürdigen Weise umzutreiben. Sein Streben ging dahin, dem biologisch-dynamischen Landbau ein Kulturzentrum zu schaffen. Ein erster Schritt in dieser Richtung war die Übersiedlung der Familie von Bothmer nach Bad Vilbel. Dr. Hans-Jörg Graf von Bothmer hatte zwischenzeitlich in Bonn bei Prof. Klapp über ein pflanzensoziologisches Thema promoviert. Er folgte dem Ruf von E. Becker, die biologisch-dynamische Forschung auf dem Dottenfelderhof aufzubauen. Ein erstes Projekt war, in Zusammenarbeit mit Prof. von Boguslawski von der Universität Gießen, ein großangelegter Bodenbearbeitungsversuch. Im Jahr 1956 folgte dann die Übersiedlung der Familie Schaumann von München nach Bad Vilbel. Dr. Wolfgang Schaumann beabsichtigte, im näheren Umkreis des Hofes eine Tierarztpraxis aufzumachen. Im Kern durch E. Becker und dann durch das Triumvirat Becker, Bothmer, Schaumann verband sich ein zukunftsgerichteter, geistiger Impuls mit dem Traditionsstrom der alten hierarchischen Ordnung und der Volkstümlichkeit der vielen ostvertriebenen Bauernfamilien. Dieser Impuls manifestierte sich in einer wöchentlichen, intensiven anthroposophischen Studienarbeit, an der teilzunehmen jedem der Lehrlinge freistand. Darüber hinaus war es dieses Triumvirat, das begann, wesentlich die Arbeit des Forschungsringes in Darmstadt, die Vorstandsarbeit, Tagungen, Forschungsanliegen und Einführungskurse mitzutragen und mitzugestalten. Dieses auf das Ganze der biologisch-dynamischen Bewegung zielende Bemühen gipfelte 1957 in einem mit dem Land Hessen ausgehandelten, unterschriftsreifen Vertragswerk, das vorsah, dass acht Siedlerstellen auf dem "Vilbeler Baumstück" – der heute überbaute Hang jenseits der Straße in Richtung Bad Vilbel – geschaffen werden sollten, mit der Maßgabe, dass die Geschäftsführung des Forschungsringes und des Demeterbundes dort, gleichsam auf dem Hofgelände, ihre neue Wohn- und Wirkungsstätte finden sollten. Ein Kennzeichen dieser Entwicklung war schon die Gründung des Demeterbundes 1953 auf dem Dottenfelderhof (vor der NS-Zeit "Demeterwirtschaftsbund"). Schaue ich auf diese erste Phase der biologisch-dynamischen Arbeit auf dem Dottenfelderhof von 1946-57 zurück, so lebte in dieser eine außerordentliche, von hohen Idealen getragene Aufbruchsstimmung. Diese war eingebettet in Bewusstseins- und Verhaltensnormen einer bäuerlichen Vergangenheit, die einst kulturtragend waren, die sich unverwandelt fortgeerbt haben und die jetzt in den 50/60er Jahren vollends an den industriellen Produktionsmethoden zerbrachen, die die Landwirtschaft zunehmend usurpierten. Unter E. Becker blühte in diesen wenigen Jahren, wie in einem letzten Aufflackern, der Geist der alten Zeiten noch einmal auf. In dem, was sich da vollzog, scheint mir beispielhaft ein Gesetz zum Ausdruck zu kommen, das Rudolf Steiner in seiner "Geheimwissenschaft" als grundlegend für alle Entwicklung charakterisiert. Man kann es verkürzt folgendermaßen umschreiben: Ein Entwicklungsereignis der Vergangenheit erstirbt und geht über in einen rein geistigen, in einen Pralayazustand. Aus diesem tritt es verwandelt wieder hervor und muss im Gegenwärtigen in Anpassung an die jetzt wirksamen Seinsverhältnisse alle vorausgegangenen Entwicklungsstufen wiederholen. Diese Wiederholung des Vergangenen im Gegenwärtigen verwandelt das Vergangene. Auf höherer Stufe erscheint es wieder und ist empfänglich für Geistimpulse, die Entwicklungswege in die Zukunft eröffnen.

Wie in einen Augenblick zusammengedrängt, wiederholte sich ein über 1000 Jahre währender Kulturstrom dadurch, dass ein Einzelner den Geistkeim eines Zukünftigen in sich trug. Damit dieser Geistkeim zur Entfaltung komme, dazu musste das Alte in Wiederholung verwandelt werden; es musste in diese Verwandlung hinein ersterben. Alle Tore zur Zukunft schienen offen zu stehen. Wie aber konnte es dazu kommen, dass dieser Kulturtod gleichsam über Nacht über den Dottenfelderhof hereinbrach? Darüber soll im folgenden Kapitel berichtet werden.

Die erste Phase von 1946 - 1957 in den 30-jährigen Auseinandersetzungen von 1950 - 1980 um den Fortbestand des Hofes und die Sicherung der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung

E. Becker trat 1946 an die Stelle seines verstorbenen Schwiegervaters und schloss zusammen mit seiner Schwiegermutter einen neuen Pachtvertrag mit dem Landgraf von Hessen-Kassel. Dieser aber musste in den Folgejahren im Zuge der Bodenreform, die in allen alliierten Besatzungszonen galt, Land zur Ansiedlung ostvertriebener Bauernfamilien abtreten. Auf diese Weise gelangte der gesamte Besitz des Dottenfelderhofes (186 ha), bis auf eine kleine versumpfte Restfläche im Unterland, in die Hände der Nassauischen Siedlungsgesellschaft (NSG), später Hessische Landgesellschaft (HLG). Die NSG trat als neuer Eigentümer in das bestehende Pachtverhältnis ein, das zwischen dem Landgrafen und der Pächtergemeinschaft ausgehandelt war.

1950 erging ein Erlass des damaligen Landwirtschaftsministers Hacker an die NSG, auf dem Dottenfelderhof ein "beschleunigtes Siedlungsverfahren" einzuleiten. Dieser Erlass schien die Todesstunde des Dottenfelderhofes einzuläuten. Die Behördenvertreter rechneten allerdings nicht mit dem Charisma des Verhandlungspartners, nicht mit der Fähigkeit E. Beckers, sie dadurch zu entwaffnen, dass er sie aus dem eng geknüpften Netz der Exekutive heraushob, sie in ihrem Menschentum ansprach und damit ihren Gesichtskreis in der persönlichen Urteilsfindung erweiterte. E. Becker war kein Verhandler, wo Argument gegen Argument steht; er war kein Taktiker, er war jeder Diplomatie abhold. Was er suchte, war das Gespräch, und darin war er Meister, darin konnte sich sein Realismus entfalten. Gewiss, vordergründig setzte er in den Gesprächen auseinander, dass der Dottenfelderhof aufgrund der jährlichen Überschwemmung seines Unterlandes im Winterhalbjahr sowie seiner sehr unterschiedlichen Bodenbonitäten das denkbar ungeeignetste Objekt für die Ansiedlung von Bauernhöfen in 15 ha-Einheiten sei, ferner, dass in der jetzt anbrechenden Zeit ein Bauerntum, wie es andernorts in den Ostgebieten über Jahrhunderte gewachsen war, sich nicht einfach verpflanzen ließe und die Zerschlagung einer ebenso gewachsenen Einheit wie die des Dottenfelderhofes rechtfertigen würde. Diese realistische Einschätzung verband er aber mit weit in die Zukunft ausgreifenden Ideen. Er setzte in den Behördengesprächen auseinander, wie es jetzt darauf ankomme, in Metamorphose des Alten, Überkommenen eine neue Landwirtschaft zu inaugurieren, die die Vielseitigkeit des Ineinanderwirkens von Viehhaltung, Acker-, Garten-, Obst-, Wald- und Heckenbau sowie Wiesen- und Weidewirtschaft wahrt, diese bewusst zum möglichst in sich geschlossenen Organismus steigert und auf diesem Wege Aussicht bestünde, dass die Landwirtschaft auf neue Art ihre kulturtragende Kraft zurückgewinne.

E. Becker suchte sich seine Gesprächspartner, über die Köpfe der NSG hinweg, in den obersten Etagen des Landwirtschaftsministeriums, der vorgesetzten Behörde der NSG. Er fand dort einen ehrenwerten Mann der alten Schule, gebildet, fachkompetent, mit dem Herzen der bäuerlichen Landwirtschaft und ihren sozial-ethischen Belangen zugetan: den damaligen Staatssekretär Dr. Tassilo Tröscher. Durch von gegenseitigem Respekt getragene Verhandlungen mit ihm zögerte sich das "beschleunigte Siedlungsverfahren" über sieben Jahre hinaus. 1957 war es, dass im August ein, von der NSG nur mit knurrendem Magen mitgetragener Vertrag zur Unterschrift vorlag, der eine Lösung vorsah, die gleichsam pro forma dem Bodenreformgesetz Genüge tun sollte: Der Familie Becker wurde zum Kaufpreis von 300.000,- DM ein Resthof von 135 ha zugesprochen – E. Becker wollte ihn nicht für sich als Eigentum, aber nur er hatte das Recht ihn zu erwerben. Im gleichen Zug verpflichtete sich das Land Hessen, zum selben Betrag von 300.000,- DM die Wasserverhältnisse in der Flussschleife der Nidda zu sanieren. Ferner sollten zwei Siedlerhöfe zu je 15 ha im "Oberland" eingerichtet werden, deren Bewirtschafter mit dem Resthof in enge Kooperation treten sollten. E. Becker war es überlassen, selber zwei Flüchtlingsfamilien zu suchen, die schon in ihrer Heimat im Osten biologisch-dynamisch gewirtschaftet hatten. Er fand sie in den Familien Rex und Kumbert. Schließlich sollten die bereits erwähnten acht Siedlerstellen für Mitarbeiter des "Forschungsringes für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise" sowie des Hofes auf dem Vilbeler Baumstück geschaffen werden. Diese Lösung zeugte von einem außergewöhnlichen, von großem Vertrauen und Verständnis getragenen Entgegenkommen des Landwirtschaftsministeriums in der Person von Dr. Tröscher. Alle über die Jahre genährten Hoffnungen und längerfristigen Planungen ruhten auf diesem jetzt vorliegenden Vertragswerk. Aber dann, als es im August 1957 zur Unterschrift kommen sollte, brach alles wie ein Kartenhaus zusammen. Die Mitpächterin Frau Gerti Abert, gestützt von einer Phalanx von konservativen Gesinnungsgenossen aus der Pächterschaft der Wetterau und vor allem beraten von ihrem Schwager, dem Landrat a.D., Konrad Wolf, verweigerte die Unterschrift. K. Wolf stand dem Nationalsozialismus nahe und war während des Krieges Landrat des Landkreises Darmstadt. Durch seinen Schwager, Max Abert, der ein erklärter Nazigegner war, hatte K. Wolf Haus- und Hofverbot. Dies hinderte ihn nicht, sogleich nach dem Tode seines Schwagers 1946 auf den Hof zu ziehen. Im Hintergrund der Unterschriftsverweigerung der Mitpächterin Frau G. Abert stand eine wohl von langer Hand vorbereitete Intrige, die darauf hinzielte, dass in diesem, über die Zukunft des Dottenfelderhofes entscheidenden Moment, in das Vertragswerk an die Stelle von E. Becker der studierte Landwirt und Sohn von Landrat a.D. K. Wolf, Dr. Alfred Wolf, treten sollte, unter Beibehaltung und Inanspruchnahme aller vertraglichen Vereinbarungen, die E. Becker in über sieben Jahren ausgehandelt hatte. Dieser völlig überraschende Zugriff beinhaltete zugleich, dass damit der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung des Hofes ein Ende gesetzt wäre. E. Becker, der nichts für sich, sondern alles für die Sache wollte, stand plötzlich und unvermutet einer rein aus egoistischen Motiven dreist handelnden Gegnerschaft gegenüber. Diese Blockade war für die NSG das gefundene Fressen. Sie ließ das ihrer Interessenlage restlos zuwiderlaufende Vertragswerk sofort platzen, mit dem Argument: "Wenn sich die Pächter nicht einig sind, können wir das Projekt nicht machen." Die Katastrophe war vollständig! Von allen Seiten wurde E. Becker bedrängt, gegen diese infame Intervention vorzugehen, zu prozessieren. Doch E. Becker, bis ins Mark getroffen, unternahm nichts. Das brachte ihm Unverständnis und Vorwürfe ein. Es entsprach nicht seinem Wesen, über eine Sache, die rein menschlich auf einer Vertrauensbasis gewachsen und jetzt aus dem vergangenheitsverhafteten Familienkreis heraus zerstört worden war, dem Richterstuhl zur Entscheidung zu überlassen. E. Becker nahm den Zusammenbruch als Tatsache hin und übernahm das schwere Amt, bewusst mit den Folgen zu leben. Erst viel später deutete ich seine, nach außen so unverständlich scheinende Handlungsweise als Ausdruck eines spirituellen Realismus. E. Becker lebte im Bewusstsein, dass im Fortgang der Entwicklung, dem Stirb und Werde, die historischen Tatsachenfolgen Ausdruck einer Willensbildung sind, durch die die aus dem Übersinnlichen wirkende Geistwelt spricht. Sollte er gegen das "Böse", das ihm widerfahren ist, mit äußeren Mitteln kämpfen? Er sagte einmal: "Ich kämpfe nicht gegen Menschen". Er nahm den anderen, den inneren Kampf auf: zu warten und mit den Folgen zu leben.

Die Interimsphase von 1957/58 bis 1968: Drohender Untergang des Dottenfelderhofes

Ernst Becker trat einen schweren Weg an. Er blieb zwar Mitpächter; dieses Recht konnte ihm nicht genommen werden. Er wurde aber zum ausführenden Organ degradiert und musste die Schmach erdulden, einen konventionellen Berater vor die Nase gesetzt zu bekommen, dessen Weisungen er zu folgen hatte. Schon in der Herbstbestellung 1957 lernte ich gleich einem Sämann über die Felder zu schreiten, um in gemessenem Schwung den Mineraldünger aus der Wanne vor dem Bauch auszuwerfen. Die Pferde wurden abgeschafft. An die Stelle trat eine wenig schlagkräftige Technik, die mit den Jahren enorme Strukturschäden in den Böden hinterlassen hat. Hufschmiede und Stellmacherei wurden aufgelöst. Die Milchviehherde wurde von einst 80 auf 45 Köpfe reduziert. Der Kuhstall wurde von der NSG vom einst doppelreihigen mit Schwanzfütterung zum einreihigen Anbindestall mit überfahrbarem Futtertisch, Milchabsauganlage, hochstufigem Mittellangstand und Mistgang mit Frontladerentmistung umgebaut. Eine um die andere der unter E. Beckers Menschenführung wie zu einer Großfamilie zusammengewachsenen Flüchtlingsfamilien verließ den Hof. Der Menschenfülle folgte eine Menschenleere. Der Endpunkt des sozialen Niedergangs war schließlich erreicht, als nichts anderes übrig blieb, als diese "Leere" durch einen Trupp unter bewaffneter Bewachung stehender Gefangener aus dem Untersuchungsgefängnis Frankfurt/M auszufüllen und zu den Feldarbeiten heranzuziehen. E. Becker musste diesen Weg des vor seinem einen Auge sich abspielenden Kulturtodes des Dottenfelderhofes bis zum bitteren Ende bewusst durchleben und erdulden. Ich habe bei meinen regelmäßigen Besuchen in dieser Interimszeit von 1958-1968 nie ein Wort der Rage oder des Vorwurfs gehört. Als E. Becker und ich einst auf dem Kirschberg standen und auf das Unterland schauten, äußerte er in aller Ruhe: "Herr Klett, hier stehen Sie vor meinen Fehlern." Diese Haltung, keine Anklage, sondern Selbsterkenntnis, prägte auch sein Verhältnis zu denjenigen, die ihm so übel mitgespielt hatten und mit denen er weiterhin täglich zusammenlebte. Es hätte Grund genug gegeben, sie mit Verachtung zu strafen; doch bis in die feinsten Empfindungsnuancen war dergleichen nicht zu spüren. Er wahrte das rein im Menschlichen begründete Verhältnis nach dem Zusammenbruch von 1957/58, wie vor diesem.

Mit Beendigung der Pacht 1964 schied E. Becker aus der Bewirtschaftung des Dottenfelderhofes aus. Er blieb weiter auf dem Hof wohnen und bewirtschaftete, in täglicher Hin- und Rückfahrt, die Versuchsflächen des Instituts für biologisch-dynamische Forschung in Darmstadt. Die Weiterverpachtung des Hofes von der NSG an Frau G. Abert – ich nehme an, E. Becker hatte auf alle Rechte des ehemaligen Mitpächters verzichtet – geschah von 1964 an nunmehr von Jahr zu Jahr. Dahinter steckte seitens der NSG die Absicht der Bodenspekulation, die immer dreistere Züge annahm. Von Bodenreform und Aufsiedlung war nicht mehr die Rede. Der Dottenfelderhof, zehn Kilometer Linie vom Stadtkern Frankfurt/M entfernt und direkt an das Stadtgebiet von Bad Vilbel grenzend, wuchs ab den 60er Jahren gewaltig ins Kapital. Für die NSG verwandelte sich so der Dottenfelderhof, Bodenreformgesetz hin oder her, in ein Filetstück auf dem Grundmarkt. Die Salamitaktik des scheibchenweisen Verkaufs setzte auch bald ein. So ging nacheinander das "Vilbeler Baumstück", der vordere Teil der "Lehmkaute" und das jenseits der Straße gelegene Gebiet der "Johannisweide" verloren. Ferner entstand erheblicher Landverlust durch die Kronenerweiterung der Nidda im Zuge der Niddaregulierung Anfang der 60er Jahre. Die NSG fühlte sich, nachdem die Zeit vorangeschritten und die alten pachtrechtlichen Hindernisse beseitigt waren, durch nichts mehr gehindert in der weiteren geldbringenden Zerschlagung des Hofes. Doch es sollte anders kommen.

Schritte zur Rückgewinnung des Hofes im zweiten Teil der Interimsphase von 1964 - 1968

Seitdem ich 1957 mein Studium in Stuttgart-Hohenheim begann, blieb ich weiter mit E. Becker in Kontakt. Jedes Jahr besuchte ich ihn auf dem Hof und meine stets erste, stereotype Frage lautete: Können wir bezüglich des Hofes etwas unternehmen? Die Antwort war Jahr für Jahr ein kommentarloses Nein. E. Becker wollte offenbar nicht aktiv werden, solange der alte Pachtvertrag noch galt. Dann, als ich im Januar 1964 nach Abschluss meiner Promotion abermals auf dem Hof weilte, bekam ich auf dieselbe, über sieben Jahre gestellte Frage die klare Antwort „Ja“! Ich war völlig sprachlos. Noch ungläubig, sagte ich darauf: Wenn dem so ist, müssen wir sofort einen Brief an Dr. Tröscher schreiben; er war inzwischen Staatsminister im Landwirtschaftsministerium geworden. Zur selben Stunde setzten wir uns hin, formulierten gemeinsam, und mir war, als ob jetzt alles aus E. Becker hervorbräche, was so lange im Schweigen, Warten und Erdulden zurückgehalten war. Den Ideenkern, der seinerzeit in Wiederholung vergangener Zustände das Alte in historischer Notwendigkeit noch einmal zum Aufblühen brachte, trat jetzt durchs Leben geprüft, gewandelt und geläutert, wieder hervor. Der Brief nannte drei Beweggründe, die uns in neuer Konstellation veranlassten, um die Wiedergewinnung des Dottenfelderhofes zu kämpfen:

  1. Beweggrund: Die Fruchtbarkeit und Zukunft des biologisch-dynamischen Landbaus beispielhaft auf einem Großbetrieb in Praxis und Forschung zu erproben und dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Land Hessen und die Universität Gießen waren eingeladen, sich an diesem Projekt zu beteiligen.
  2. Beweggrund: Eine neue Sozialform zu entwickeln, die dem Bestreben Rechnung trägt, kollegial eine organismische Vielseitigkeit in der Betriebsgestaltung aufzubauen.
  3. Beweggrund: Die Suche nach einer zeitgemäßen Lösung der Bodeneigentumsfrage.

Der Brief strotzte von hohem Idealismus und sollte gerade durch diesen Sinn und Herz des Adressaten für einen Impuls öffnen, den die Zeit fordert und in dessen Dienst wir uns stellen wollten. Die Antwort von Dr. Tröscher - nicht delegiert, sondern von ihm, dem Minister, persönlich - war bezeichnend; er bat um Präzisierung und weckte zugleich Hoffnungen, indem er uns an Dr. Walter Kolt verwies, den Geschäftsführer der soeben von Dr. Tröscher begründeten „Arbeitsgemeinschaft zur Verbesserung der Agrarstruktur (AVA)“. Dr. W. Kolt, im gleichen Alter etwa wie E. Becker, erwies sich als ein redegewandter, frei denkender, lauterer Mensch von ganz außergewöhnlicher Zivilcourage. Ohne sein immer gleiches, geistesgegenwärtiges und mutiges Eintreten für unser Anliegen, hätten wir den Dottenfelderhof nicht zurückgewinnen können. Dr. W. Kolt war für uns ein riesengroßer Glücksfall und sein Eintreten für uns über die folgenden ca. 25 Jahre ist umso bewundernswerter, als unser Anliegen keineswegs seines war. Er war Agrarökonom und hätte demzufolge - wie er mal sagte - den Dottenfelderhof stromlinienförmig nach agrarindustriellen Methoden auf Effizienz getrimmt. Aber W. Kolt war in hohem Maße tolerant. Er achtete das Wollen anderer und verfügte über einen, sein ganzes Handeln bestimmenden Gerechtigkeitssinn, der besonders gefordert war, als er vernahm, wie übel E. Becker mitgespielt worden war und wie viel Rufmord ihn betreffend durch die Lande ging. Daraus entwickelte sich von seiner Seite aus ein rechtes Faible für E. Becker, und über die Jahre wurde er zum treuen Helfer und Freund der Hofgemeinschaft.

Die Verhandlungen mit dem Landwirtschaftsministerium und der NSG von 1964 - 1968

Auf den erwähnten Brief an Dr. Tröscher und sein Antwortschreiben begann, über die Köpfe der NSG und ihren damaligen Direktor Dr. Wömer hinweg, ein vierjähriger Verhandlungsmarathon mit dem Landwirtschaftsministerium. Unzählige Male fuhren E. Becker und ich nach Wiesbaden. Vor jedem Verhandlungsschritt berieten wir uns mit Dr. W. Kolt; er stellte die Kontakte zu den Sachbearbeitern her; zu nennen wären vor allem Dr. von Randow, Dr. Böseler „Euer Weizen wird blühen!“ und Dr. Merfort, der zum persönlichen Referenten des Ministers Dr. Tröscher aufgerückt war. Es waren die Genannten, die unserem Vorhaben positiv gegenüberstanden. Aber es gab auch eine Gegenströmung, deren Repräsentanten Dr. Metzler, dem Vorgesetzten der NSG im Ministerium, sowie das Leitungsgremium der NSG waren. Diesen Antipoden und ihren Versuchen, unser Projekt politisch zu hintertreiben, trat Dr. W. Kolt mit entwaffnender intellektueller Überzeugungskraft, Redegewandtheit und geradezu bewundernswerter Zivilcourage entgegen.

Unser Verhandlungseinstieg war:

  1. Unser Angebot, das Land Hessen möge doch unter agrarpolitischen Aspekten in unser sozial-ökologisches Experiment der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung eines Großbetriebes einsteigen und ebenso die Universität Gießen mit Forschungsprojekten, die bevorzugt auf Fragen des biologisch-dynamischen Landbaus Bezug nehmen. Beides wurde, aufgrund von Gutachten, die das Ministerium eingeholt hatte, abgelehnt. Bezüglich der Vorschläge zur Eigentumsfrage an Grund und Boden wurde so argumentiert, dass damit der im Kommunismus praktizierten Vergesellschaftung der Produktionsmittel Vorschub geleistet würde.
  2. Die Anknüpfung an „das Hainstädter Beispiel“. Dieses, von der Arbeitsgemeinschaft zur Verbesserung der Agrarstruktur (AVA) unter der Ägide von Dr. W. Kolt in die Wege geleitete Projekt, kam unseren Vorstellungen zur Bildung einer Pächter- bzw. Betriebsgemeinschaft entgegen. Schon Mitte der 60er Jahre zeichnete sich ab, dass die nach dem damaligen agrarpolitischen Konzept noch vielseitig ausgerichteten Aussiedlerhöfe, trotz langfristiger zinsgünstiger Kredite, wirtschaftlich nicht auf einen grünen Zweig kommen. Der Vorschlag war nun, dass fünf kooperationswillige Aussiedlerhöfe in Hainstadt im Odenwald sich zu einer Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenschließen und die traditionelle Vielfalt der Betriebszweige dadurch aufrechterhalten wird, dass in Kooperation jeder Hof sich auf einen oder zwei Betriebszweige spezialisiert. Man tauscht Wirtschaftsgüter wie Mist, Stroh, Futter etc. untereinander aus und teilt das wirtschaftliche Ergebnis nach einem gemeinsam vereinbarten Schlüssel. Zugrunde lag ein Vertrag, der alle rechtlichen Belange regelt. Die fünf Landwirte waren bereit, dieses zukunftsweisende Projekt durchzuziehen. Es scheiterte am Veto ihrer Frauen. Die Durchführung schien ihnen zu komplex und sie sahen darin einen Anlass für Konflikte.

Für uns wurde das im Ministerium mit großer Sympathie begleitete Hainstädter Beispiel zum Angelpunkt aller weiteren Verhandlungen. Wir argumentierten, dass genau das, was in Hainstädt angestrebt wurde, wir auf dem Dottenfelderhof im Sinne eines Mehrfamilienbetriebes mit innerbetrieblicher Arbeitsteilung exerzieren wollten. Dieser soziale Ansatz und nicht die Praktizierung des biologisch-dynamischen Landbaus öffnete uns zunächst die Türen zu den Ministerialen.

Diese Öffnung hatte Bestand, doch bald blies der Wind von der Gegenseite uns umso kräftiger ins Gesicht. Das Argument war, ausgelöst wohl durch ein Gutachten von Herrn Dr. Metzler an Minister Dr. Tröscher, dass die NSG angehalten sei, das Land des Dottenfelderhofes für die Entschädigung der Bauern am Niederurseler Hang zur Verfügung zu halten, die ihr Land für die Umsiedlung der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt/M. abtreten mussten. Damit war bis auf Weiteres jede Entscheidung zu unseren Gunsten auf Eis gelegt. Das war der Beginn einer unerträglichen Durststrecke. Erst viel später wurde evident, dass die Bauern sich ihren Landverlust am Niederurseler Hang in barer Münze auszahlen ließen. Und wer von ihnen hätte seine hohen Bodenbonitäten schon mit den schwierigen Bodenverhältnissen des Dottenfelderhofes eintauschen mögen?

Je konkreter wir versuchten, Druck auf eine klare Entscheidung auszuüben, desto mehr endeten unsere Gespräche in Wiesbaden mit einem „Jain“. Wir sahen uns seitens unseres Gegners, Dr. Metzler, ohnmächtig einer Hinhaltetaktik ausgesetzt, wohl mit der Absicht, uns schon im Vorfeld zu zermürben und uns so von unserem Vorhaben abzubringen. Gutachten um Gutachten mussten eingeholt werden. Die Verhandlungen verlagerten sich auf periphere Nebenschauplätze. Z. B. musste der Umlandverband Frankfurt/M. in monatelangem Hin und Her klarstellen, dass der Dottenfelderhof in Gänze in einer Grünschneise liegt, einer für Frankfurt/M. unverzichtbaren „atmenden Lunge“, die sich vom Taunus bis nach Hanau hinzieht. Damit wurde der NSG vorerst ein Riegel vor ihre Bodenspekulationsgelüste geschoben. Auch bei unseren immer dringender werdenden Vorsprachen bei Minister Dr. Tröscher um eine Entscheidung mussten wir feststellen, dass ihm die Hände gebunden waren. Schließlich offerierte er uns 80 ha Land des Hofes, wohl E. Becker zuliebe als ehemaligem Pächter. Darauf konnten wir nicht eingehen, und der Tanz ging weiter. In unserer Verzweiflung suchten wir parallel nach Alternativen. Unser erstes Objekt war die Domäne Guntershausen auf dem Kühkopf am Rhein: landschaftlich reizvoll, aber voller Tümpel, über Bodenniveau aufsteigende Grundwasserstände, Überschwemmungsgefahr und infolgedessen eine alljährlich verheerende Schnakenplage. Das zweite Objekt war die Domäne Frankenhausen. Hier erwiesen sich die damaligen Pachtverhältnisse noch ungeklärt. Später wurde sie als Versuchsbetrieb von der Universität Kassel-Witzenhausen übernommen. Diese externen Suchbewegungen bewirkten das Gegenteil. Sie banden uns nur desto fester und inniger an den Dottenfelderhof.

Wir waren entschlossen, im Fortgang der Verhandlungen mit NSG und Ministerium keinen Fußbreit nachzugeben. Oft wurden wir von Außenstehenden mit der Frage konfrontiert, warum wir bei all diesen Widerständen am Dottenfelderhof festhielten; es fänden sich doch gewiss noch andere Pachtobjekte gleicher Größenordnung. Nun, erstens gab es in der damaligen, mit Flüchtlingen übervölkerten Bundesrepublik kaum einen nennenswerten Grundstücksverkehr und wenn, dann hatten die Siedlungsgesellschaften der Länder mit ihrem Vorkaufsrecht die Hand darauf; zweitens bestand zum Dottenfelderhof eben eine tiefe karmische Beziehung E. Beckers, nicht nur durch seine Einheirat, sondern vor allem durch die Überleitung des dem Tode geweihten Hofes, nach seiner kulturtragenden Geschichte seit dem frühen Mittelalter bis hin in die erste Phase seiner biologisch-dynamischen Bewirtschaftung. Drittens lebte in E. Becker und mir immer deutlicher die Empfindung, dass das alte Karma fortwirkte, das dem Grund und Boden des Hofes über Jahrhunderte eingeschrieben war, und sich jetzt gespensterhaft in allen Widerständen auslebte. Es könne nur erlöst werden durch das bewusste Stehen in einem über ein Jahrtausend währenden christlich-abendländischen Entwicklungsimpuls sowie durch die Treue zur Idee und zu dem einmal gefassten Willensentschluss. Durch den steten Kontakt zu Dr. W. Kolt wurden wir über die internen Vorgänge im Ministerium, den Dottenfelderhof betreffend, auf dem Laufenden gehalten. Er bestärkte unsere Hartnäckigkeit zu immer neuen Vorstößen, ein Umstand, der auch Dr. Tröscher imponierte. Später sagte er mir einmal in ähnlicher Situation: „Immer dranbleiben, nie aufgeben.“ Dr. W. Kolt ebnete uns auch die Wege zu Gesprächen mit noch anderen Ministerialen, sodass eine breitere Vertrauensbasis entstand. Das sollte sich für uns noch zukunftsentscheidend auswirken.

Alle diese Umstände führten dazu, dass im Laufe des Jahres 1967, offenbar auf Weisung Dr. Tröschers, die NSG angewiesen wurde, mit uns, d. h. der anvisierten Betriebsgemeinschaft von fünf Familien, einen Pachtvertrag abzuschließen. Das veranlasste uns, die Kosten für die Hofübergabe, für notwendigste Investitionen und für die Betriebs- und Lebenshaltungskosten bis zur ersten Ernte zu ermitteln. Der Betrag belief sich auf 400.000,- DM, eine für damalige Verhältnisse gewaltige Summe. Die Frage war, woher nehmen, wenn nicht stehlen! Wir kratzten alles zusammen, was die einzelnen Familien an Vermögenswerten beisteuern konnten. Auf diese Weise kam noch nicht die Hälfte der Summe zusammen. Wo aber sollten die noch fehlenden ca. 250.000,- DM herkommen? Wir waren ratlos und gerieten zunehmend in Verzweiflung, weil alle Bemühungen auf E. Beckers und meinen Reisen nach Süd- und Norddeutschland nur wenige und dabei geringfügige zinslose Darlehen einbrachten. Bankkredite waren uns verwehrt, weil uns nichts an Sicherheiten geblieben war, die wir hätten anbieten können. Wir griffen nach jedem Rettungsanker! Wir hofften schließlich auf Hilfe des in finanziellen Fragen versierten RA Dr. Spitta in Stuttgart. Aber auch für ihn war unsere Situation, unser Vorhaben zu ungewöhnlich. Er verabschiedete E. Becker und mich mit dem wenig tröstlichen Hinweis, „da sei so ein Verrückter in Bochum, RA Barkhoff mit Namen“, vielleicht könne er uns weiterhelfen. Das Gespräch mit Wilhelm Ernst Barkhoff kam wenig später im Oktober 1967 zustande. Es fand, schon verrückt genug, um 19:00 Uhr in seinem Büro im obersten Stockwerk der Commerzbank Bochum statt und dauerte bis über die Mitternachtsstunde hinaus. Wir waren zu fünft angereist und trafen auf einen liebenswürdigen, schlanken, hochgewachsenen Menschen mit markanten, in sich ruhenden Gesichtszügen und, wie sich sogleich herausstellte, mit einem für einen Juristen höchst unkonventionellen Denken und einem großen Herz für das soziale Wollen anderer. Neben seiner großen Rechtsanwaltspraxis war er Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Nordrhein-Westfalen. Wir erzählten unsere Geschichte und unser Anliegen und dann sagte Barkhoff: „Jetzt erzähle ich meine Geschichte“. Er berichtete von der Begründung der „Gemeinnützigen Treuhandstelle (GTS)“, einem Dachverband aller anthroposophisch orientierten gemeinnützigen Einrichtungen in Deutschland, sodann über die zwei Monate zuvor begründete „Gemeinnützige Kreditgarantiegenossenschaft (GKG)“ und deren Aufgabe, für Kreditnehmer Bankkredite abzusichern, die selber keine Sicherung bieten können, also eine Garantie auf Vertrauen. Wir jubelten, das ist genau das, was unser finanzielles Problem löst. Wir zeichneten sofort Genossenschaftsanteile und brachen heimwärts zur frühen Morgenstunde auf, mit der Zusage von W. E. Barkhoff über einen Kredit von 250.000,- DM der Commerzbank Bochum, nicht ahnend, welche Abenteuer dieser Kredit in der Folgezeit noch nach sich ziehen würde. Doch davon später!

Wir schauten nun frohgemut in die Zukunft, bis uns um die Jahreswende 1967/1968, wie aus heiterem Himmel, ein Blitz- und Donnerschlag traf. Dr. W. Kolt informierte uns über folgenden Vorgang: Die NSG versuchte offenbar mit aller Macht, den vom Ministerium zugesagten Pachtvertrag zu hintertreiben. Der Vorgesetzte der NSG im Ministerium, Herr Dr. Metzler, schrieb einen Brief an uns, der unter einem Stoß vieler anderer Briefe Herrn Staatsminister Dr. Tröscher zur Abzeichnung vorgelegt wurde. Er unterzeichnete! Im Durchsehen der abgehenden Post entdeckte der persönliche Referent des Ministers, Herr Dr. Merfort, das Schreiben an uns, las es und wandte sich sofort an Dr. Tröscher mit den Worten: „Ist das Ihr Ernst?“ Dr. Tröscher las den Brief und zerriss ihn. So kam er nie in unsere Hände. Der Brief war nach Aussage von Dr. Merfort so abgefasst, dass er auf unabsehbare Zeit einer Absage gleichkam. So hing, nach vier Jahren nervenaufreibender Verhandlungen, unser Schicksal und das des Hofes an einem seidenen Faden. Wäre der Brief in unsere Hände gelangt, ich glaube, unser Wille, der Macht unserer Gegner weiter zu trotzen, wäre gebrochen gewesen.

Was ministeriumsintern der Zerriss des Briefes für Folgen hatte, konnten wir nur vermuten. Offenbar muss Dr. Tröscher erneut Druck auf Dr. Metzler und die NSG ausgeübt haben. In der Hoffnung auf eine umgehende Genehmigung seitens der NSG zur Hofübergabe wurde schon am 19.12.1967 ein Zessionsvertrag zwischen Frau Gerty Albert und der Betriebsgemeinschaft unter Anwesenheit der von beiden Parteien bestellten Schätzer abgeschlossen. Dieser sah vor, dass Frau G. Albert das gesamte, durch eine Obmannstaxe ermittelte Pächtervermögen, bestehend aus dem lebenden und toten Inventar, den Vorräten, dem Feldinventar und dem Superinventar (pächtereigene Bauten) zum 1.3.1968 an die Betriebsgemeinschaft überträgt.

Trotz Wissens der NSG um diesen Vertragsabschluss ließ sie die Ausstellung des Pachtvertrages schleifen. Das war Anlass für drei Mitglieder der Betriebsgemeinschaft, am 20. März den Hof förmlich zu „besetzen“, um die fällige Frühjahrsbestellung vorzunehmen. Zwei Sachverständige waren seitens der Pächterin beauftragt, in Vorbereitung der Schätzung, das gesamte Inventar aufzulisten. Das tote Inventar war zwar meistenteils Schrott; es wurde aber ausnahmslos hinsichtlich seines Zeit- bzw. Gebrauchswertes in die Schätzungslisten aufgenommen. Zu diesem Ziel wurden die Maschinen auf Hochglanz gebracht und ebenso die Transportfahrzeuge sowie Gerätschaften mit viel neuer Farbe auf altem Rost herausgeputzt. Am 25./26. März 1968 fand schließlich die Obmannstaxe statt und in der ersten Morgenstunde des 27. März folgte die Unterzeichnung der Verhandlungsniederschrift und des Übergabeprotokolls.

Die Schätzkommission bestand aus den Herren Bernhardt Cornelius-Dens, Bebra, bestellt von Frau G. Albert, Ludwig Niemann, Volken, bestellt von der Betriebsgemeinschaft und Dr. Martin Clemm, Kelkheim, der von beiden Schätzern im Einverständnis mit den beiden Parteien zum Obmann ernannt wurde.

Der Übernahmevertrag weist ein Schätzungsergebnis aus von 356.300,- DM. Hinzu kommen anteilige Schätzungsgebühren von rund 6.000,- DM sowie ein Entschädigungsbetrag für die vorzeitige Beendigung des offiziell am 21.2.1969 endenden Pachtvertrages von 25.000,- DM. Insgesamt, einschließlich Gebühren, 387.390,- DM. Bezüglich der Entschädigungssumme übernahm Frau G. Albert die Verpflichtung, diese für die Renovierung ihres Altenwohnsitzes im ersten Stock des „alten Leutehauses“ einzusetzen.

Die Bezahlung erfolgte durch ein verzinsliches Darlehen der Commerzbank Bochum über 250.000,- DM (davon später), sowie durch Eigenmittel der Betriebsgemeinschaft Dottenfelderhof in Höhe von 137.390,- DM.

Der Pachtvertrag

Nachdem Herr Minister Dr. Tröscher den von ihm bereits unterschriebenen Brief von Herrn Dr. Metzler an uns, der das Ende unserer Bemühungen um die Pachtung des Hofes bedeutet hätte, nachträglich für null und nichtig erklärt hatte, erging ein Erlass an die NSG, umgehend den Pachtvertrag auszuarbeiten. Unsere Gegner, Direktor Dr. Wörner von der NSG und Dr. Metzler im Ministerium für Landwirtschaft, suchten diesen mit solch absurden Forderungen zu überfrachten, in der Erwartung, dass wir am Ende doch noch entnervt aufgeben würden. Das bezeugt die folgende Chronologie der dramatischen Ereignisse von Ende Februar bis Anfang April 1968:

  • Am 20. Februar 1968 liegt zu einer Besprechung im Ministerium der Entwurf des Pachtvertrages vor. Er erweist sich für uns als vollkommen unannehmbar. Daraufhin veranlasst der Minister eine Neubearbeitung.
  • Am 4. März schreiben wir dem Minister einen „Brandbrief“: „Wir sind im größten Zeitdruck ...“
  • Daraufhin erneuter Erlass des Ministers an die NSG, das Verfahren im Sinne unserer Einwände beschleunigt abzuschließen.
  • Am 11. März ist der überarbeitete Vertrag von uns immer noch nicht unterschreibbar.
  • Am 14. März kommt es in Direktverhandlungen mit der NSG zu weitgehender Einigung. Trotzdem besteht die bange Frage fort, ob das Tandem Wörner, Metzler nicht alles wieder zunichtemacht.

Weil wir nichts hörten, kam es ab dem 20. März zur Hofbesetzung und unverzüglich zur ersten Aussaat (Sommerweizen). Auch die Obmannstaxe verlief ohne gültigen Pachtvertrag in den Händen. Erst nach der ersten Aprilwoche wurde er uns zur Unterschrift vorgelegt: Er war nach wie vor ein Knebelvertrag. Er erfüllte bezüglich Befristung und der gestellten Grundbedingungen den rechtlichen Tatbestand der „Unbilligkeit“. Von landwirtschaftlichen Sachverständigen wurde uns dringend abgeraten, auf den Vertrag einzugehen; „er liefere den Strick um den Hals gleich mit“. Wir hingegen stellten uns nach allen durchlebten Hoffnungen und Enttäuschungen auf den Standpunkt: Einmal den Fuß zwischen Tür und Angel, wird uns keine Macht der Welt mehr von diesem Hof vertreiben. Aus herkömmlicher Sicht musste diese Haltung als unverzeihliche Naivität erscheinen; für uns war es das unbesiegbare Vertrauen in die spirituellen Grundlagen des biologisch-dynamischen Landbaus, in seine Zukunft, um derentwillen wir bereit waren, das gewaltige, uns aufoktroyierte Risiko auf uns zu nehmen.

Der Pachtvertrag war auf fünf Jahre befristet. Die NSG sagte einer Verlängerung um weitere 25 Jahre verbindlich zu, wenn folgende, im Wortlaut wiedergegebenen Grundbedingungen erfüllt seien und dies, im Falle einer Verlängerung, alle fünf Jahre:

a) die Betriebsgemeinschaft funktionsfähig bestehen bleibt; b) die jährlich bis zum 31. März vorzulegenden Buchführungsunterlagen der Pächterin (Betriebsgemeinschaft) nicht auf eine Existenzgefährdung der Unternehmung schließen lassen; c) die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise die Bodenfruchtbarkeit der gepachteten Ländereien nicht beeinträchtigt. Der Nachweis hierüber ist von der Pächterin durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens bei Einreichung des Antrages auf Verlängerung des Pachtvertrages spätestens bis 31.10.1972 zu erbringen. Die Landwirtschaftskammer Hessen-Nassau oder deren Rechtsnachfolger hat der Auswahl des Sachverständigen durch die Pächterin zuzustimmen; d) keine überwiegenden öffentlichen Interessen, z. B. Raumplanung oder Städteordnung entgegenstehen. Sollte ein neuer Pachtvertrag aus einem solchen Grunde nicht abgeschlossen werden können, so sind der Pächterin die vorgenommenen genehmigten Investitionen zum Zeitwert zu entschädigen und das gesamte Inventar zum Schätzwert zu übernehmen.

Laut Bodenreformgesetz hatte die NSG die Verpflichtung zur Inventarübernahme im Falle der Ablösung der Alpacht. Sie hat diese Verpflichtung kommentarlos auf uns abgewälzt. Unter den genannten Fallstrick-Bedingungen, der kurzen Pachtfrist und dem für unsere Bedürfnisse ungeeigneten oder gar schrottreifen toten Inventar, mussten wir damit eine zusätzliche Belastung auf uns nehmen. Es lag nahe anzunehmen, dass, mit den gestellten Grundbedingungen, die NSG sicher damit rechnete, dass wir die Pachtzeit von fünf Jahren nicht überstehen würden bzw. ihr Machthebel unter Punkt d) sowieso dem Spuk ein Ende bereitet. Trotz allem, wir unterschrieben und stürzten uns in das Abenteuer, nicht ahnend, dass uns ein zwölfjähriger Kampf um die Fortexistenz des Hofes und der Wahrung unseres zukunftsgerichteten Anliegens bevorstand.

Die Betriebsgemeinschaft

Auf Verlangen der NSG und des Ministeriums waren wir genötigt, in Anlehnung an die Vertragsgestaltung des genannten „Hainstädter Beispiels“, einen Gesellschaftsvertrag auszuarbeiten. Kaum waren wir auf dem Dottenfelderhof, verschwand dieser in der Schublade und ward nie wieder gesehen. Wir wollten uns keine vorausgedachten Rechte aufzwingen lassen. Gleich zu Anfang schon handelten wir wider den Vertrag. Das Leben lehrte uns, statt, wie festgelegt, demokratisch abzustimmen, Einmütigkeit in allen Entscheidungen walten zu lassen.

Der Gedanke der Betriebsgemeinschaft (BG) entsprang folgerichtig den geistigen Perspektiven des biologisch-dynamischen Landbaus. Hinter ihm stand per se kein sozialer Impuls der Beteiligten. Er erwuchs aus dem Bewusstsein, dass die hierarchische Ordnung der alten Landbaukultur, wie sie unter E. Becker in der ersten Phase der b.-d. Bewirtschaftung des Dottenfelderhofes in Wiederholung des Vergangenen nochmal aufgeleuchtet war, sowie der leibgebundene Erbgang in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts dem Untergang preisgegeben waren. Wir fühlten uns von dieser Last befreit und frei, aus den spirituellen Quellen eines anthroposophisch orientierten Landbaus eine diesen Quellen gemäße Sozialform zu gestalten. Was herauskam, war zum geringsten vorausgedacht. Es war und ist der Versuch einer Durchdringung des horizontalen demokratischen Prinzips mit einer Neuschöpfung des vertikalen hierarchischen Prinzips auf höherer Stufe. Das demokratische Prinzip kommt zur Geltung in der innerbetrieblichen Arbeitsteilung, das Vertikalprinzip in der Kompetenzhierarchie.

Der Demokratie liegt das Verhältnis von Mensch zu Mensch zugrunde, das in der konkreten Zusammenarbeit das soziale Leben gestaltet. Bezogen auf die biologisch-dynamische Bewirtschaftung des Dottenfelderhofes entstand also zunächst die Frage: Wie viele Mitglieder braucht die BG, wie viele also sind notwendig, um die einzelnen Arbeitsfelder zu betreuen, in die sich der landwirtschaftliche Organismus gliedert, wie viele also sind notwendig, um die anfallende Arbeit zu bewältigen? Die Zahl ergab sich demnach nicht aus Gesichtspunkten der Rentabilität, sondern aus dem ideellen Erfassen des Wesens der Ganzheit des Hofes. Dieses führte uns zur Zahl von fünf Familien, offen lassend, dass es auch mehr werden können. Vier dieser Familien fanden sich als vormalige Mitarbeiter am Institut für biologisch-dynamische Forschung in Darmstadt; ein Mitglied wirkte zuvor als biologisch-dynamischer Berater.

Die nach so vielen Jahren Anlaufzeit im März 1968 endlich Wirklichkeit gewordene Betriebsgemeinschaft war die erste ihrer Art, die Bestand hatte. Alle vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, ähnlich gelagerten Initiativen, waren von nur kurzer Dauer. Die Zeit war noch nicht reif! Auch 1968 gab es Unkenrufe, die dieser BG keine Chance gaben, schon gar nicht wegen der städtischen Herkunft ihrer Mitglieder sowie deren überwiegend „akademischer Ausbildung“. Die Gründungsmitglieder der BG waren:

  • Dieter Bauer (geb. 1938), Gartenbauingenieur, Ebba Bauer (geb. 1940), Gartenbauingenieurin, Hauswirtschaftsmeisterin;
  • Ernst Becker (1923 - 1999), Diplomlandwirt und Landwirtschaftsmeister, Irmgard Becker (1920-2009), Diplomlandwirtin;
  • Knud Brandau (1931), Agraringenieur, Johanna Brandau (1931-2014), Krankenschwester.

Die Zuständigkeitsbereiche gliederten sich wie folgt: E. Becker und J. Klein übernahmen die Arbeit im Kuhstall, damals 45 Kühe, die Betreuung der Nachzucht sowie die Weidewirtschaft. D. Bauer widmete sich der Pflege der alten Streuobstanlagen sowie dem Hackfruchtbau (Zuckerrüben) in Zusammenarbeit mit den beiden für den Ackerbau Verantwortlichen, K. Brandau und M. Klett. Nach Aufgabe des Zuckerrübenanbaus übernahm D. Bauer den Feldgemüsebau mit hauptsächlich Möhren und Rote Rüben, nachdem sich eine Absatzmöglichkeit bei der Firma Eden aufgetan hatte. Die Präparatarbeit lag in der Verantwortung aller fünf. Es bestand die Vereinbarung, dass die Spritzpräparate grundsätzlich von Hand und möglichst immer zu dritt gerührt werden, ggf. auch zu noch mehreren. Die Maschinenpflege und die Reparaturen besorgten D. Bauer, K. Brandau und M. Klett. Letzterer betreute zudem die fälligen Bauarbeiten, u. a. bei der Einrichtung der Getreidereinigung, -trocknung und -lagerung, der Hofbefestigung, der Wasserregulierung des gesamten Unterlandes mit Verrohrungen, Rückstaumöglichkeiten, Anlage von Gräben und zwei Teichen sowie zusammen mit E. Becker und L. Klett, die Korrespondenz und Buchführung. Die Wochenendarbeit im Kuhstall und in der Rinderfütterung teilten sich im Wechsel je zwei von den Vieren: J. Klein, E. Becker, D. Bauer und K. Brandau. M. Klett war über die Wochenenden unter Mithilfe von meist vier bei der Bundesbahn beschäftigten Italienern mit Bauarbeiten zugange. Insgesamt bestand über die Grenzen der Verantwortungsgebiete hinaus eine intensive, flexible Zusammenarbeit. Diese war die Frucht:

  • der Tatsache, dass jeder das übergeordnete Ganze im Blick hatte und daraus handelte,
  • der morgendlichen Arbeitsbesprechung in großer Runde mit viel Humor sowie der mittäglichen ohne das Stallpersonal,
  • der einmal wöchentlich am Abend stattfindenden Arbeitsbesprechung der Fünf über die Belange der Wirtschaftsführung, u. a. Fruchtfolge, Düngepläne, Investitionen, Vermarktung, das übernommene Personal,
  • der ebenfalls einmal wöchentlich am Abend stattfindenden gemeinsamen Studienarbeit zu Themen aus der Anthroposophie.

Alles in allem schuf dies ein Arbeitsklima eines freien Miteinanders. Die Arbeitszeit wurde nicht in Stunden bemessen. Sie bemaß sich vielmehr nach der individuellen Identifikation mit der Fülle der Arbeitsnotwendigkeiten, die die Gestaltung des Hofes zu einer Ganzheit erforderlich machten. Jeder tat das Seine im freien Wollen aus dem individuell gefassten Verständnis des biologisch-dynamischen Impulses. Diese Haltung in der Zusammenarbeit über die Verantwortungsfelder hinaus bewährte sich von Anfang an. Hierfür ein Beispiel (Bericht L. Klett): „Als es nach kurzer Zeit zwischen E. Becker und dem zunächst von der Vorpächterin übernommenen Melker zu einer Auseinandersetzung über die Umstellung der Fütterung kam, legte dieser von einem Tag auf den anderen die Arbeit nieder. Es entstand eine chaotische Situation. Bis auf den Gärtner D. Bauer hatten alle vier Landwirte zwar das Melken von Hand gelernt, doch außer K. Brandau konnte keiner mit der Melkmaschine umgehen. So mussten E. Becker und J. Klein erst mal bei K. Brandau in die Lehre gehen. Aus dieser Situation beschloss man, die Stallarbeit vor dem Frühstück gemeinsam zu erledigen. Während E. Becker und J. Klein am Melken waren, holten Bauer und Klett mit dem alten Muldenwagen Futter, luden es von Hand auf den Futtertisch ab und K. Brandau mistete aus. Diese gemeinsame Tätigkeit in den frühen Morgenstunden wurde über viele Jahre bis weit in die 70er Jahre beibehalten. Man war dann frei nach dem Frühstück für größere Aktionen.“

Die Frauen der Betriebsgemeinschaft

Wie die Männer mit den großen Strukturschwächen der Böden (Stauwasserflächen), dem schlechten Zustand der Wirtschaftsgebäude und der Maschinen, traten auch die Frauen mit den heruntergewirtschafteten Wohn- und Hauswirtschaftsräumen ein schweres Erbe an.

Der Wohnraum war überaus knapp, ein Jahr lang wurde gemeinsam in der alten Gutsküche gekocht und in dem erdgeschossigen Treppenhaus des Haupthauses aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts gegessen. Sämtliche Wohnräume des Hofes wurden mit Briketts beheizt. Diese wurden einmal pro Jahr per Waggon (25 t) auf dem hofeigenen Verladegleis an der Bahnlinie angeliefert, die das östliche Hofgelände quert, von Hand auf die alten Muldenwagen geschippt und ebenso von Hand unter der Eingangstreppe hindurch in den dahinter gelegenen Gewölbekeller verfrachtet (D. Bauer, M. Klett). Die Fenster schlossen größtenteils nicht dicht; durch das Dach regnete es in aufgestellte Eimer und Wannen. Zudem war Schmalhans Küchenmeister, sodass auf Anhieb von Frühjahr bis Herbst mit Einkochen von allem, was der Hof hergab, intensive Vorratswirtschaft betrieben werden musste.

Unter diesen Umständen war klar, dass die Frauen der BG ihre vordringliche Aufgabe in der Bewältigung der Hauswirtschaft und in der Fürsorge der rasch wachsenden Familien hatten: Beckers drei Kinder, von denen zwei schon im Studium (Medizin) und in der Ausbildung zur Goldschmiedin standen, Brandaus ein Kind, Bauers und Kletts nach und nach je fünf Kinder. Jeder der Frauen stand darüber hinaus frei, wo immer nach Zeit, Fähigkeit und Neigung Initiativen im Dienst der Gemeinschaft zu ergreifen. Es ging vorderhand um die Selbstversorgung. Irmgard Becker kümmerte sich, wie zuvor schon, um die Bienenhaltung und Hühner, und allesamt brachten den allseits ummauerten Garten der einstigen Klostermarie mit Frühbeeten, Gemüsen, Kräutern und Blumen in Schwung.

Eine Zwischenbemerkung: Unser Brotgetreide lieferten wir an die Mühle Gauger, später Stuttgarter Bäckermühlen. Von dort bezog die stark expandierende Großbäckerei der Firma Jauss ihr Demetermehl. Erwin Jauss war ein begnadeter Wirtschaftsführer, ein Mensch mit großem Helferwillen, Mitbegründer und Förderer des Demeterbundes. Leider ist er in der Hochblüte seines Wirkens verstorben. Zu seiner Firmengruppe gehörte die Firma Burkhardt, die Demeter-Backwaren herstellte. Von dort bezogen wir unser Brot. Durch die Transportwege und lange Lagerung kam es zu Verlusten durch Schimmel, worauf wir das alte Backhaus mit seinem Steinofen aus Vogelsberger Lungstein, das aus der ersten Phase der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung stammte, wieder in Gang setzten. Die Frauen übernahmen je zu zweien einen Backtag. Gebacken wurde zunächst 14-tägig – gesund für die Zähne – später wöchentlich, als wir begannen, die Schulküche der Waldorfschule Frankfurt/M. zu beliefern. Das Mehl bezogen wir von der nicht allzu fern gelegenen Mühle Knecht, die ebenfalls von uns mit Brotgetreide beliefert wurde. Die Regie übernahmen die Frauen, das Teigkneten von Hand anfangs die Männer, bis L. Klett sich erbarmte und auf eigene Faust einen Uralttyp einer Teigknetmaschine anschaffte. Das war der Entstehungsmoment der Hofbäckerei.

So war die große Pionierarbeit der Frauen in der Folge die Entwicklung und der Aufbau der Weiterverarbeitung und des Hofladens. Allen voraus schritt die rührige, nimmermüde Initiativträgerin Ebba Bauer. Als Hauswirtschaftsmeisterin bildete sie alsbald zahlreiche Lehrlinge in „Ländlicher Hauswirtschaft“ aus, durchlief die Ausbildung zum Meister im Bäckerhandwerk, besuchte Lehrgänge im Molkereifach, baute die Hofkäserei auf und gestaltete zusammen mit den anderen Frauen die Hoffestlichkeiten.

Nach und nach fanden die Familien, zusammengepfercht im alten Gutshaus, zu ihren Wohnungen. Die Familienmittagstische bevölkerten sich neben der wachsenden Kinderzahl mit Lehrlingen und Praktikanten.

In diesen Anfangszeiten, in welchen wir alle in ein Meer von Arbeit untertauchten – an Urlaub war nicht zu denken – wuchs ein durch nichts zu brechender Zusammenhalt der Gemeinschaft. Man darf rückblickend sagen, ohne das selbstlose, initiative Mitwirken der Frauen hätten die Männer der BG auch nicht im Ansatz ihre aus der anthroposophisch erweiterten Landwirtschaft geschöpften Ideale verwirklichen können.

Das Mitarbeiter- und Wohnrechterbe

Mit der Pacht übernahm die BG die Weiterbeschäftigung von älteren Mitarbeitern von Frau G. Albert. Es waren die beiden Schwestern Marie Lehnert und Frau Schuster, treue selbstlose Seelen, die in ihrem Alter der BG noch unschätzbare Dienste leisteten. Es war Herr Langer mit seiner Frau, er, der sich noch in einer Übergangszeit als verlässlicher Traktorfahrer erwies. Die beiden alten Rentner Herr Arndt und Frau Simon, die sich dann und wann in der Kinderbetreuung nützlich machten. Schließlich waren es zwei weitere Ehepaare, schräge Typen, für die Frau G. Albert so recht ein Faible besaß. Das eine verließ uns als erstes; beide Ehepartner schielten derart in gegensätzliche Richtungen, dass die Frage aufkam, wie die sich wohl kennengelernt haben. Das zweite Paar hat uns mit Verdruss und Heiterkeit noch manches Jahr beglückt. Beide, Frau und Herr Segert, gehörten dem fahrenden Volk an, ehe sie auf dem Hof, er als Schweinemeister, sesshaft wurden. Er trat einst auch im Zirkus als Clown auf und verstand es, als genialer Psychologe und mit entwaffnender Beredsamkeit, wenn es um den Tod so vieler Ferkel oder sonstige Nachlässigkeiten ging, seinem zorngeladenen Gegenüber den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Außer unserer Frau Maria, die uns bis ins hohe Alter treu blieb, haben alle Genannten bis etwa Mitte der 70er Jahre den Hof verlassen, sei es durch Tod oder Wegzug nach Erreichen des Rentenalters.

Die Handhabe der Einkommen

In den ersten zwölf Jahren waren die Familien der BG arm wie die Kirchenmäuse. Alle realisierbaren Privatvermögen waren in die Betriebsmasse eingegangen. Es herrschte eine vorbildliche Ausgabendisziplin. Die Bedürfnisse waren ja auch umgekehrt proportional zur Arbeitsfülle. Hilfreich war zudem, dass E. Becker und M. Klett etwa vierteljährlich eine Einnahmen- und Ausgabenübersicht aufstellten mit einer Vorausschau bis zur nächsten Ernte, sodass jede/r einschätzen konnte, welche Privatausgaben leistbar sind. Nur einmal bis in die 80er Jahre wurde das Girokonto um drei Tage überzogen. Es bestand der unbedingte Wille, den laufenden Betriebshaushalt von Ernte zu Ernte wenigstens auf Nullniveau ausgeglichen zu halten.

Die Handhabe der Familieneinkommen gestaltete sich nach dem Prinzip der Trennung von Arbeit und Einkommen. Das war auch der Grund, warum wir mit Macht danach strebten, das Lohnproblem im Sinne von bezahlter, weisungsgebundener Arbeit auf dem Hof aus der Welt zu schaffen. Wir traten mit dem Ideal an, dass jeder unternehmerisch, aus dem Geiste des Ganzen denkend, in seinem Teilgebiet die praktische Arbeit auch ausführt, ganz im Sinne Goethes: „Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit“ (Wilhelm Meister). Die biologisch-dynamischen Maßnahmen erschließen sich erst in ihrem Wesen, wenn man im anschauenden Urteilen in diesem Wechselspiel steht.

Als Vereinbarung galt: Nach freier Selbsteinschätzung die Entnahme nach Bedürfnis. Das funktionierte ohne Probleme und schuf ein Bewusstsein des Maßfindens und -haltens. Diese Voraus-Entnahmen wurden nominellbuchungsmäßig dem jährlichen Gewinnanteil gegengerechnet, der sich aus dem Betriebsgewinn, geteilt durch fünf, ergab. Das konnte bedeuten, dass die eine Familie, deren Kinder im Studium standen, ihren Gewinnanteil überzogen, die anderen, deren Kinder noch klein waren, einen Restgewinn verbuchten. Dieser Gewinn oder Verlust wurde auf das Eröffnungskapitalkonto einer jeden der fünf Familien in Höhe von 80.000,- DM verbucht, dem Anteil, der sich aus dem eingebrachten Eigen- und Fremdkapital von 400.000,- DM ergab.

In diese Kapitalkonten waren also auch die persönlichen Einlagen der Mitglieder der BG eingegangen. Die anfangs gleich hohen Kapitalkonten stiegen mit den Jahren je nach Entnahmen unterschiedlich hoch. Sie stiegen im Laufe der zwölf Jahre (1968-1980) nach Maßgabe der vollzogenen Kreditrückzahlungen und der mittlerweile aus dem laufenden Haushalt getätigten Investitionen auf beträchtliche Höhen. Anfang der 80er war der Betrieb schuldenfrei und die BG durfte sich, zwar mit leeren Taschen, eines nicht geringen Reichtums erfreuen. Was mit diesem geschah, geht aus Kapitel 10.1 hervor.

Die Betriebsfinanzen

Die BG lebte in den ersten Jahren von der Hand in den Mund. Die prekäre Finanzlage ergab sich aus den relativ geringen, jährlich aus den Felderträgen Einkünften, monatlich aus Milchgeld der Molkereigenossenschaft Frankfurt/M., dem Schlachtvieh (Schlachthof Frankfurt/M.) sowie aus den hohen Ausgaben an Pachtzins an die NSG, aus den hohen Zins- und Rückzahlungsforderungen der Kredite der Commerzbank Bochum (250.000,- DM) und der Kreissparkasse Bad Vilbel (100.000,- DM) sowie Rückzahlungen für kreditierte Maschinenkäufe bei der Bäuerlichen Hauptgenossenschaft Frankfurt/M. Zur Absicherung des Darlehens der Kreissparkasse mussten wir unser soeben erworbenes Inventar gleich wieder verpfänden. Wir erwarben damit das vorerst vordringlichste an Maschinen. Es war in den ersten Jahren ganz unmöglich, diese Belastungen sowie die aus den Aufwendungen für den laufenden Betrieb und die Lebenshaltung aus den Einnahmen, einschließlich der Ernte (Getreide, Raps, Zuckerrüben) zu decken. Nur Weizen, Roggen und Hafer hatten einen Demetermarkt und erzielten - für uns hochwillkommen - höhere Preise. Wir hatten in den schwierigen Anfangsjahren das unschätzbare Glück, dass die Mahle-Stiftung/Stuttgart uns half, die Zinsen des Kredites der Commerzbank Bochum aufzubringen. Ansonsten wurde jede eingenommene D-Mark dreimal umgedreht, bis sie ausgegeben wurde.

Hier sei noch eine Geschichte zwischengeschaltet, die kennzeichnend ist für die Geburtswehen der BG und die Wiedererstehung des Dottenfelderhofes. Im August 1968 erschien, aus dem Urlaub zurückkommend, unangemeldet Herr Direktor Lindemann von der Commerzbank Bochum, um das „Wunderwerk der Zukunft“ zu begutachten, als welches es ihm wohl W. E. Barkhoff mit seiner ganzen Überzeugungskraft vor Augen geführt hatte. Was er sah, muss ihn statt in die Zukunft in das Mittelalter versetzt haben. Es löste ein einziges großes Entsetzen aus: Uralte Bruchsteinwände, in dessen Fugen und Ritzen die Spatzen nisteten, verwitterte Fensterleibungen z.T. mit schmiedeeisernen Vergitterungen aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem 30-jährigen Krieg, abbröckelnder Putz am Gutshaus, kaputte Dächer, ein Basaltpflaster, über das die Jahrhunderte hinweggegangen sind, ein verschlammter Unterhof usw. Postwendend stieg er zornentbrannt in sein Auto, mit den Worten „für diese Räuberburg hätte ich keinen Pfennig gegeben“.

Der Besuch hatte zunächst keine Folgen. Wohl hatte W. E. Barkhoff den erzürnten Direktor fürs Erste besänftigt. Vielmehr fand im Sommer 1969 die gemeinsame Aufsichtsratssitzung der Gemeinnützigen Treuhandstelle (GTS) und Kreditgarantie-Genossenschaft (GKG) in dem Klett'schen Wohnzimmer statt (heutiger Besprechungsraum). Es waren viele Gäste aus der biologisch-dynamischen Bewegung und anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland geladen. W. E. Barkhoff malte in schwungvoller Rede eine soziale Zukunft aus, in der der biologisch-dynamische Landbau im Allgemeinen und das betriebsgemeinschaftliche Projekt des Dottenfelderhofes im Besonderen eine herausragende, eine katalysatorische Bedeutung hätten. Nur wenige unter den Zuhörern konnten die Tragweite der Worte dieses „Nichtlandwirtes“ ermessen.

Wenig später, im September 1969, erreichte uns ein Schreiben der Commerzbank mit der Aufforderung, Sicherheiten für den ausgezahlten Kredit über 250.000,- DM zu bieten. Wir dachten an einen Irrtum, denn, war der Kredit nicht durch die GKG abgesichert? Dies schien die Antwort auf einen Anruf bei W. E. Barkhoff zu bestätigen: Sie hieß „Papierkorb“! Dieses Ritual, Mahnbrief - Papierkorb, wiederholte sich in immer kürzeren Zeitabständen, bis das Debakel offenbar wurde. Es stellte sich heraus, dass bei einer Revision der Commerzbank durch die obere Aufsichtsbehörde unser Kredit als „faul“ eingestuft wurde, und zwar deshalb, weil die GKG zu der Zeit mit der Zahl ihrer Genossenschaftsanteile nicht mehr als 40.000,- DM verbürgen konnte. Das war damals bei der Kreditvergabe wohl noch nicht klar. Nachdem es klar war, hat es uns W. E. Barkhoff schlicht verschwiegen, er nahm den Rest von 210.000,- DM einfach auf seine Kappe. Jetzt also wurde es ernst! Wir waren genötigt, nachträglich Sicherheiten aufzutreiben, u. a. Aktien der Zuckerrübenfabrik Friedberg, Grundstücke in Meisenheim aus Irmgard Beckers Erbe väterlicherseits. Es war ein mühsames Restezusammenkratzen; aber es gelang, nicht zuletzt dank der selbstlosen Mithilfe von W. E. Barkhoff.

Es war schließlich im Jahr 1976; Direktor Lindemann lag auf dem Tode krank. Er erhielt einen Abschiedsbesuch von Herrn Rüter, langjähriger Mitarbeiter im Arbeitskreis um W. E. Barkhoff und 1974 Mitbegründer der GLS-Bank Bochum. Rüter fragte ihn nach dem herausragendsten Ereignis seines Bankerl Ebens. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Der Kredit an den Dottenfelderhof!“ Wie das zu verstehen sei? Die Antwort: „Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir vor Augen geführt, dass man einen Kredit auf Vertrauen geben kann.“ Aus der „Räuberburg“ schöpfte er kein Vertrauen, sondern erst aus dem unbedingten, ideengetragenen Willen einer Menschengemeinschaft, die in das Sterben des Gewordenen den Entwicklungskeim eines neuen Werdens zu legen versucht.

Die Finanzübersicht über den Betrieb war weitgehend im Bewusstsein aller Mitglieder der BG präsent, zum einen durch die Information während der wöchentlichen Arbeitsbesprechung und der vierteljährlichen Vorausschau bis zur nächsten Ernte, zum anderen durch die Buchführung und Kontierung von Hand. Insbesondere durch letztere wurde das Zahlenwerk der Einnahmen und Ausgaben, jetzt aber in seinen Zusammenhängen nochmal durchdacht, überprüft und verinnerlicht. Man erlebte das wirtschaftliche Geschehen des Betriebes im Strom der Zeit. Und dieses Erleben begleitete und verband sich mit der täglichen Arbeit und floss in alle Entscheidungen ein. Ich bin überzeugt, dass darauf die Kunst des Maßhaltens in dieser Phase der Entwicklung des Dottenfelderhofes wesentlich beruhte. Wir blieben in unserem Tun und Lassen im Rahmen des Maßes und der Grenzen, die uns der Organismus des Hofes und die sozialen Bedingungen setzten.

Die digitale Buchführung durch den Computer verunmöglicht dieses Erleben des prozessualen Geschehens in der Zeit. Das ist m. E. der Grund, warum es heutzutage so schwer geworden ist, eine wirklichkeitsnahe Finanzübersicht aus dem Ganzen für das Ganze des Betriebes zu haben. Man verliert das Bewusstsein für die Intimität der inneren, gleichsam physiologischen Abläufe des Betriebsorganismus, für den maßvollen Zusammenhang, der das Leben und Werden des Hofganzen erst zur Entfaltung bringt.

Aufgrund des sehr beengten Wohnraumes und gleichsam wie eine Rettung für unseren 1973 schwer verunglückten Johannes Klein, hat die NSG sich bereit erklärt, den Prototyp eines bäuerlichen Siedlungswohnhauses auf dem Hof zu bauen (Baubeginn 27.3.1974). Die Finanzierung geschah durch öffentliche Mittel über die NSG mit einem Eigenanteil der Pächter von 40.000,- DM. Das Erdgeschoss wurde rollstuhlgerecht für J. Klein eingerichtet. In den ersten Stock zog Familie Becker. Buchführung etc., die bislang im Wohnzimmer Klett stattfand, siedelte in den Neubau um und wurde fortan durch J. Klein betreut.

Äußerste Maßhaltung und Einsatzfreude halfen die Berge von Altlasten bis 1980 abzutragen. Nach zwölf Jahren war der Hof schuldenfrei; eine neue Stufe seiner Entwicklung in die Zukunft war erklommen.

Die Jahre von 1968 - 1973:

Die betriebliche Entwicklung

Mit großem Feuereifer und einem unerschütterlichen Vertrauen auf eine uns gnädige Zukunft stürzten wir uns den widrigen Bedingungen zum Trotz in die Arbeit. Fast nichts, was wir an totem Inventar übernommen hatten, entsprach den gängigen arbeitswirtschaftlichen Erfordernissen und schon gar nicht den biologisch-dynamischen. Einzig die Milchviehherde, die E. Becker einst aus dem zusammengewürfelten Bestand der vor seiner Zeit praktizierten Abmelkwirtschaft heraus gezüchtet hatte - er hatte 1950 darüber seine Meisterarbeit geschrieben -, entsprach in Einheitlichkeit und Leistung unseren Erwartungen. Der Stall bot mit Mittellangstand und zu hoher Stufe zum Mistgang waren denkbar schlechte Haltungsbedingungen. Die Folge waren häufige Euterverletzungen. Zudem musste ein Teil des Mists von der Standfläche von Hand heruntergekratzt werden, um die Kühe sauber zu halten. Der Mist wurde per Frontlader aufgenommen und auf dem unteren Hofareal als Stapelmist gelagert; daneben wurde für die Aufnahme der Jauche aus Stall und Mistlager ein neuer, überfahrbarer Rundbehälter gebaut.

Der Schlepperbestand setzte sich aus zwei einzylindrigen Lanztraktoren zusammen - Dinosauriern aus der Vorkriegszeit, die mit einer Anrüstzeit von mindestens einer Stunde in der Regel nur in der Zuckerrübenernte oder zum Pflügen der schweren Böden eingesetzt wurden - sowie drei viel zu leichten Schleppern (ein Ford, 65 PS, zwei Ferguson zu 35 und 55 PS), die bereits sehr reparaturanfällig waren. Reparaturen geschahen unter freiem Himmel, häufig nachts, damit am Morgen die Arbeit weitergehen konnte. Die Böden waren durch den hohen Schlupf der Schlepperräder und wegen schmaler Arbeitsbreite der Geräte sowie häufigem Nasspflügen nach der meist späten Zuckerrübenernte hochgradig verdichtet. Alle Arbeitsverfahren, wie Zuckerrüben- und Runkelrübenvereinzeln, Unkrautjäten, Distel- und Ampferziehen, Grünfutterholen, Pressballen von Stroh und Heu auf angehängte Muldenwagen laden, in der Feldscheune bzw. den Hofscheunen hochstapeln usw., erforderten ein hohes Maß an Handarbeit. Da waren wir dankbar um jede Hilfe seitens derer, die wir als alte Mitarbeiter übernommen hatten. Sie wurden seit 1969 nach und nach abgelöst durch Lehrlinge und Praktikanten sowie später auch durch Schulklassen, als Anfang der 70er Jahre an den Waldorfschulen die Landbaupraktika eingeführt wurden.

Auch die alte Hofschmiede behielt noch lange Zeit ihr mittelalterliches Aussehen mit Esse, Blasebalg, Amboss und Wasserbecken zum Aushärten des glühenden Stahls sowie einem Schmiedehammer zum Ausschmieden der Pflugschare, dessen Treibriemen quer durch die ganze Schmiede lief.

Mit diesem Inventar war kein Staat zu machen. Wir waren genötigt, meist auf Kreditbasis, uns entsprechend den biologisch-dynamischen Erfordernissen technisch auszurüsten. Der Ackerbau hatte mit einem 90 PS Fendtschlepper, einem Fünf-Schar-Beetpflug und einer sechs Meter Saatbettkombination (Rabe) Vorrang; später kamen noch eine drei Meter Sämaschine (Hassia) und ein sechs Meter Federzahnstriegel (Rabe) hinzu. Von großem Nutzen in der Unkrautbekämpfung erwiesen sich zudem die übernommenen alten Netzstriegel. Es folgten im Futterbau ein Tellermähwerk, Heuwender, Schwader und eine Hochdruckpresse (Weiger), ein schleppergezogener Mähdrescher (Fahr), zwei Miststreuer sowie später ein Ballen-Höhenförderer und diverse Gebrauchtmaschinen wie Möhren- und Runkelrübenernter. Ferner bauten wir in der alten Feldscheune eine Unterflur-Trocknungsanlage für die Hochdruckheuballen. Dass das, neben allem anderen, arbeitsmäßig und finanziell zu leisten war, spricht für den ungeheuren Einsatzwillen der BG sowie für die gemeinsame abwägende Planung und die Zurückstellung aller persönlichen Lebensansprüche.

In der Fruchtfolge blieb es zunächst bei den angebauten Früchten, Getreide, Raps und Zuckerrüben, ergänzt durch ein zweijähriges Kleegras sowie Untersaaten (Perserklee) und Zwischenfrüchten. Der Zuckerrübenanbau hat uns am meisten Kummer bereitet, trotz des Vorteils der Rücklieferung von Zuckerrübenschnitzeln für die Winterfütterung. Es galt, die großen Hackfruchtschläge - sie dienen entsprechend einer alten Ackerbauregel der Unkrautbereinigung im Rahmen der Fruchtfolge - penibel unkrautfrei zu halten sowie die Ernte von Hand auf unserer Verladestation in Waggons zu verladen. Diese Verladeschinderei nahm ein Ende, nachdem die Firma Stahlbau Müller in Dortelweil, unser erster Milchkunde, uns ein altes Ungetüm eines Seilzugkranes zur Verfügung stellte, mit dessen Hilfe wir die Zuckerrüben in Netzen, die auf den Muldenwagen ausgebreitet wurden, in die Waggons heben konnten. Derselbe Kran hob uns auch die getreidebeladenen Wägen an der Vorderachse hoch, um sie nach hinten in die Getreidegosse abzukippen. Es war eine länger anhaltende Zwischenlösung auf dem Weg, bis wir uns einen Hydraulikkipper leisten konnten.

Den Zuckerrübenanbau gaben wir Anfang der 1970er Jahre schließlich auf; das Kontingent ging ohne finanziellen Ausgleich an die Zuckerrübenfabrik zurück. An die Stelle trat der Feldgemüsebau mit Möhren und Roten Rüben, die zu Demetersaft bei der Firma Eden verarbeitet wurden. Auch der Kartoffelanbau eroberte sich größere Flächen. Der Demetermarkt hatte sich inzwischen bedeutend ausgeweitet, vor allem seit dem „Weltnaturschutzjahr 1970“ und der Veröffentlichung des Buches „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson. Infolgedessen bedeutete diese zunächst risikoreiche Umstellung einen wirkungsvollen wirtschaftlichen Aufschwung. So fanden in diesen ersten fünf Jahren nach und nach alle Verkaufsfrüchte des Ackerbaus, außer Raps, einen Demetermarkt. In der Tierhaltung blieb alles beim Alten.

In der Düngung fand, nach Ausbringung des noch von der Vorpächterin übernommenen mineralischen Handelsdüngers im ersten Jahr, eine abrupte Umstellung statt, obwohl klar war, dass die hofeigene Düngererzeugung von 45 Kühen mit Nachzucht und ein paar Schweinen, zusammen - 0,4 GVE/ha, nicht ausreichend war. Dieses Defizit suchten wir, neben den stickstoffbindenden Leguminosen in der Fruchtfolge, in den ersten Jahren durch Schweineborsten vom Frankfurter Schlachthof auszugleichen. Diese, aus der Not getroffene Maßnahme, war, nachdem wir damit längst aufgehört hatten, der Hauptgrund für das negative Urteil von Frau Maria Thun über die später durchgeführten, methodisch exakten Versuche auf dem Dottenfelderhof durch Dr. H. Spieß, die ihre Versuchsergebnisse über die Wirkung des siderischen Mondumlaufs auf das Wachstum der Pflanzen nicht bestätigten.

Im ersten Jahr bezogen wir die Präparate noch von der Baumschule Appel, Darmstadt, bzw. dem innerhalb dieser befindlichen Institut für biologisch-dynamische Forschung. Wir richteten dann in dem ersten der drei nördlichen Gewölbekeller das Präparatelager ein und stellten ab Herbst 1968 die Präparate selber her. In Bezug auf das Rühren der Spritzpräparate hatten wir vereinbart, dass dies grundsätzlich von Hand und möglichst zu dritt, wenn nicht noch zu mehreren erfolgen sollte. Das Rühren geschah in der alten Waschküche, wo mit Hilfe des dortigen Heizkessels das Wasser über einem hochgehängten riesigen Speicher (vom Schrottplatz) handwarm in einer Menge von 150 Litern in die 200 Liter fassenden Eichenfässer geleitet wurde. Uns schien das Maß von 150 bis maximal 200 Litern dasjenige zu sein, das nicht überschritten werden sollte. Es ist dies die Wassermenge, die es erlaubt, den Rührprozess in voller Intensität eine Stunde lang, dem Zeitmaß des Willensrhythmus der Menschen, aufrechtzuerhalten. In der Regel wurde zweimal bei gleicher Besetzung hintereinander gerührt, zuweilen auch dreimal.

Die Erträge, als Ausdruck des funktionell richtigen Zusammenspiels von Bodenbearbeitung, Fruchtfolge und Düngung, haben sich im Laufe der fünf Jahre stabilisiert. Das Glück wollte es, dass ausgerechnet 1973, dem fünften Jahr, auf welches laut Pachtvertrag die offiziellen Betriebsprüfungen auf Herz und Nieren angesetzt waren, die bis dato besten Feldbestände zu verzeichnen waren. Minister Dr. Tröscher, der uns vorab im Frühsommer einen Besuch abstattete, war sichtlich beeindruckt.

Auch die Entwicklung des Milchviehbestandes verlief, außer zwei Todesfällen gleich zu Anfang durch Acetonämie und den genannten Euterverletzungen, stetig aufwärts. Die Herdbuchherde des Dottenfelderhofes zählte zur damaligen Zeit mit ihrer Milchleistung von durchschnittlich 5600 Litern pro Kuh/Jahr zur Spitze der Milchviehbestände gleicher Größenordnung in Hessen. Die Bullen wurden, bei einem Wechsel alle zwei Jahre, von E. Becker und J. Klein aus bäuerlichen Zuchtbetrieben nach dem Typ eines Zweinutzungsrindes ohne HF-Anteil und einer eher betonteren Schwarzfärbung der schwarzbunten Rasse ausgesucht.

Die Schweinehaltung wurde nach dem Auszug unseres Faktotums Fritz Segert aufgegeben. Um den 15. August 1971 traf uns dann ein anderer schwerer Schlag. Der ganze Stolz unserer Nachzucht, 33 Rinder verschiedenen Alters und zwölf hochtragende Rinder, waren seit einigen Tagen auf der Weide des vorderen Baumstücks zur Straße hin. Beim Abtrieb quer durch den Hof zeigten sie einen schwankend-torkelnden Gang. Die Jungrinder verblieben auf neuer Weide und erholten sich erst nach Tagen von dem entsetzlichen Durchfall; die Hochtragenden wurden im Tiefstall mit Tees und vor allem Kaffee behandelt. Doch eine nach der anderen verendete oder musste notgeschlachtet werden. Es war ein gewaltiger Rückschlag im weiteren Aufbau der Zuchtherde und zugleich ein herber finanzieller Verlust. Die Polizei unternahm nichts, und auf eine Entschädigung bestand keinerlei Aussicht. Die Autopsie diagnostizierte eine Arsenvergiftung. Und tatsächlich fanden Irmgard Becker und Li Klett am 23.08.1971 in der alten Kiesgrube auf dem „Kieskopf“, dem oberen, ehemals an die alte Landstraße Bad Vilbel-Gronau angrenzenden Teil der Weide, Reste von Arsensalz. Eine gesetzlich geregelte Giftentsorgung gab es damals noch nicht. Wir gingen davon aus, dass irgendein Landwarenhändler seine Giftküche, zu der Arsen als wirksames Insektizid gehörte, kurzerhand abseits der Straße bei uns entsorgte, nachdem in den 60er Jahren die neuen synthetischen Insektizide auf den Markt gekommen waren, z.B. DDT, Lindan etc. Heute ist der Kieskopf mit einer über einen Meter mächtigen Lössdecke aus Bauaushub überzogen.

Die Auseinandersetzungen mit der NSG

Von den in Kapitel 6 erwähnten Grundbedingungen des Pachtvertrages war die unter d) genannte, "keine überwiegenden öffentlichen Interessen ... entgegenstehen", die für uns gefährlichste, weil sie von uns kaum beeinflussbar war. Und prompt wurden von der NSG alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eben dieses "öffentliche Interesse" zu wecken. Die erwähnte Entschädigung der Bauern des Niederurseler Hanges mit Land vom Dottenfelderhof war bei Pachtantritt 1968 längst vom Tisch. Nun galt es, neue übergeordnete Projekte der "Raumplanung und Städteordnung" in Gang zu setzen, um uns binnen der gesetzten Frist von fünf Jahren aus dem Feld zu schlagen. Alle drei Projekte, von denen wir immer nur durch die Hintertür erfuhren, strapazierten unsere Nerven über die Jahre.

Das erste Projekt war die Umsiedlung des Untersuchungsgefängnisses der Stadt Frankfurt/Main auf das Gelände des Dottenfelderhofes. Dass dieses irgendwann scheiterte, wurde uns immer erst deutlich, wenn das nächste in Szene gesetzt wurde. Dies war der Fall mit der projektierten Ansiedlung eines zentralen Ersatzteillagers von VW in möglichst großer Nähe zum Frankfurter Flughafen. Auch diese Hoffnung musste die NSG irgendwann begraben. Wir aber lebten im Ungewissen, bis sich tatsächlich eine neue, jetzt aber pechschwarze Wolke über uns zusammenzog. Die NSG spielte ihre letzte Karte aus, um uns loszuwerden. Das Damoklesschwert schwang über unseren Häuptern tiefer und tiefer herab.

Nachdem eine Investorengruppe im Großraum Frankfurt/Main ein Vergnügungszentrum plante, damit aber an dem vorgesehenen Standort bei Walldorf, südlich des Flughafens, scheiterte, wurde mit Hilfe der NSG der Dottenfelderhof Planungsobjekt. Vorgesehen waren neben allen erdenklichen Vergnügungseinrichtungen eine Trabrennbahn, ein 200-Betten-Hotel und ein riesiges Parkplatzareal. Unter dem Deckmantel strengster Verschwiegenheit lagen alle behördlichen Befürwortungsentscheide von unter anderem dem Umlandverband, dem Landkreis, der Stadt Bad Vilbel, Bürgermeister Glück und sogar von der der NSG vorstehenden Behörde im Ministerium vor.

Erst in diesem vorgerückten Stadium wurden wir – es war im Jahr 1972 – durch einen uns wohlgesonnenen Insider aus Bad Vilbel über die drohende Gefahr informiert. Die Geheimhaltung hatte ihren Grund darin, dass die Investoren mit Geldern aus ungeklärter Herkunft aus Berlin das Projekt hochziehen wollten. Das war für uns der entscheidende Angelpunkt. Was uns bisher immer fern lag, mit öffentlichkeitswirksamen Druckmitteln zu arbeiten, taten wir jetzt. Wir informierten die Presse, und tatsächlich, der zum Aufstieg schon prall gefüllte Ballon platzte und versank im Nichts.

Mit diesem letzten Versuch, uns doch noch vor Ablauf des Pachtvertrages auszuhebeln, hatte die NSG, die unter ihrem neuen Direktor Pöhl inzwischen zur "Hessischen Landgesellschaft (HLG)" mutiert war, das Spiel verloren. Diese Schmach erzeugte in der Direktion der HLG einen Hass, den wir und später noch auch andere zu spüren bekamen. Sie wollte noch immer nicht aufgeben. Wie uns am 29.11.1972 aus genannter Quelle gesteckt wurde, stand die HLG in Verhandlungen mit Bürgermeister Glück sowie CDU und SPD der Stadt Bad Vilbel mit dem Ziel, dass die Stadt den Dottenfelderhof pachtet und an uns unterverpachtet.

Am 7.2.1973 drang die Nachricht zu uns, dass die Stadt entschlossen sei, den Hof für sich zu gewinnen. Das war wohl der tiefere Grund für die nun folgende hartnäckige Verzögerungstaktik der HLG, den uns rechtlich zustehenden neuen Pachtvertrag abzuschließen. Sie ließ zum Pachtende nichts unversucht, um uns aus den genannten Grundbedingungen des vorherigen Pachtvertrages einen Strick zu drehen. Die Bedingung a) bot keinen Angriffspunkt: Die BG war noch voll funktionsfähig. Die Bedingung c) über eine mögliche "Beeinträchtigung der Bodenfruchtbarkeit durch die biol.-dyn. Wirtschaftsweise" wurde per Gutachten des Instituts für Bodenkunde der Universität Gießen, Prof. Schönhals und seines Sachbearbeiters, dem nachmaligen Prof. Harrach, verneint. Letzterer vertraute mir später an, dass Prof. Koepf, Hohenheim, zu unseren Gunsten seine Hände mit im Spiel hatte. Eine leichte Minderung der Kaliumverfügbarkeit war nämlich über die Jahre konstatiert worden.

So blieb nur noch die Bedingung b) – "keine Existenzgefährdung nachzuweisen durch Vorlage der Buchführungsunterlagen" –, die von der HLG weit über das geforderte Maß ausgeschlachtet wurde. Sie beauftragte im Frühsommer 1973 Herrn Dr. Goldmann zur Anfertigung eines Sachverständigengutachtens, das nun nicht nur die Buchunterlagen berücksichtigte, sondern eine jedes Detail erfassende Begehung des Gesamtbetriebes. Die Milchviehherde wurde nach Milchleistung, Zahl der Abkalbungen, Gesundheit, Einheitlichkeit etc. beurteilt, ebenso bis ins letzte Weidel sämtliche Fehlbestände nach Bodenstruktur, Wüchsigkeit, Unkrautfreiheit, Krankheiten und Ernteerwartung. Das Gutachten fiel positiv zu unseren Gunsten aus! Wohl sehr zum Ärger der HLG, denn sie glaubte wohl, dass wir zu sehr auf den Gutachter Einfluss genommen hätten. Jedenfalls bestellte sie postwendend einen zweiten, den renommierten Gutachter Cornelius Dens, der die ganze Prozedur noch akribischer als sein Vorgänger vornahm. Auch dieses Gutachten fiel positiv aus!

Die HLG musste sich geschlagen geben; alle Bedingungen hinsichtlich einer Verlängerung des Pachtvertrages waren erfüllt. Es war eine Sternstunde der über die Jahre hart geprüften BG. Alle guten Geister hatten mitgeholfen. Im Jahr 1973 "blühte unser Weizen", wie einst Dr. Böseler im Ministerium prophezeite. Es war bezüglich aller Kulturen bis dato unser unkrautfreiestes, bestes Erntejahr! Doch was nun? Die Pachtfrist war abgelaufen, und es geschah nichts!

Die Jahre von 1973 - 1980

Ein neuer Pachtvertrag und noch einer!

Die Auseinandersetzungen mit der HLG nahmen kein Ende, ja spitzten sich zu. Seit Ende März 1973 befanden wir uns in einem pachtlosen Zustand. April, Mai, es wurde Juni, wir waren am Verzweifeln und erwogen eine Klageandrohung an das Land Hessen. Wir verhandelten mit Dr. W. Kolt und seinen uns wohlgesonnenen Kollegen im Ministerium, was zu tun sei; wir griffen nach jedem sich bietenden Rettungsanker. Und tatsächlich, ganz unverhofft war da wieder "eine weisende Hand". Aus Kreisen der Anthroposophischen Gesellschaft in Frankfurt/M erhielten wir den Hinweis auf die Zweigleiterin in Wetzlar, deren Mann, Dr. Pietzner, zwar nicht Anthroposoph sei, uns aber doch vielleicht weiterhelfen könnte. Ein Termin Anfang Mai auf dem Hof war rasch vereinbart.

E. Becker und M. Klett wanderten mit ihm gegen Abend auf das heute bebaute "Möbel-Baumstück" - die Kreisstraße war noch nicht gebaut - und schilderten ihm dort, mit Blick auf den Taunus, unsere aussichtslos erscheinende Situation. Dr. Pietzner war eine hochgewachsene, vornehm edle Erscheinung mit ernsten Gesichtszügen. Er hörte schweigend zu, und sein leiser melancholischer Blick war in die Ferne gerichtet. Er erweckte in mir unmittelbar das Bild jenes edlen Freimaurers, den G. E. Lessing in seinen "Freimaurer-Gesprächen, Ernst und Falk" schildert. Mit warmen Worten verabschiedete er sich und versprach zu helfen. Später erst hörten wir, dass er Freimaurer sei und das hohe Amt des "Meisters vom Stuhl" bekleide. Und tatsächlich, noch am 6. Juni erhielten wir eine Terminzusage von Herrn Minister Dr. Werner Best, dem Nachfolger im Amt von Dr. T. Tröscher. Das Treffen fand in einem Besprechungsraum der Lobby des Hessischen Landtages statt. Anwesend waren der Minister, der immer hilfreiche, geistesgegenwärtige Dr. Kolt, E. Becker, M. Nett und, etwas später hinzugekommen, Dr. Metzler. Wir stellten, unterstützt von Dr. Kolt, unsere desolate Situation dar, und dann brach ein heilloses Donnerwetter seitens des Ministers über seinen ranghöchsten Beamten, den Ministerialdirigenten Dr. Metzler, herein, so dass uns und dem Adressaten wohl auch, nur anders, Hören und Sehen vergingen. Die Situation war an Peinlichkeit kaum zu überbieten: Wie kann ein Minister vor uns Zaungästen seinen höchsten Beamten so zur Schnecke machen? Im Auflösen der Runde sprach Dr. Metzler die Worte: "Mit diesen Herren" – gemeint waren wir – "will ich nichts mehr zu tun haben."

In dem Gespräch wurde auf Vorschlag des Ministers erstmals die Möglichkeit einer Überführung des Hofes von der HLG in die Trägerschaft der Domänenkammer des Landes Hessen angesprochen. Die HLG hat uns gegenüber am 18.06.1973 diese Lösung strikt abgelehnt; stattdessen legte sie uns am 25.06.1973 einen Pachtvertrag vor, mit völlig unannehmbaren Bedingungen. Am 27.06.1973 erwähnten wir diesen Tatbestand in einem Brief an Minister Dr. Best, mit der Bitte um Intervention. In seiner Antwort vom 08.08.1972 sicherte er uns zu, den Dottenfelderhof durch Überführung in eine Staatsdomäne retten zu wollen. Per erneutem Erlass wurde die HLG daraufhin verdonnert, uns einen neuen Pachtvertrag auf 18 Jahre nach den Pachtbedingungen des Landes Hessen, Domänenverwaltung, vorzulegen. Dies geschah am 18.07.1973. Es dauerte dann noch bis Ende des Monats, also vier Monate nach Ablauf des alten, bis der neue Pachtvertrag mit amtlicher Unterschrift in unsere Hände gelangte.

Nach dieser drangvollen Zeit wurde Anfang 1974 der Bau des Becker-Rein'schen Wohnhauses begonnen. M. Klett kam mit dem zuständigen Architekten der HLG, der sich als Insider in allen Freimaurerfragen erwies, immer häufiger ins Gespräch. Er berichtete, dass Minister Dr. Best selber Freimaurer sei. Damit war auf einen Schlag klar, was sich im Verborgenen abgespielt hatte und wem wir diese Hilfe zu danken hatten. Durch Herrn Dr. Pietzner wurde eine Wende in unserem und des Hofes Schicksal eingeleitet.

Zurückdatiert auf den 1. Juli 1973 waren wir also im Besitz des hart erkämpften Pachtvertrages und glaubten, das Spiel endgültig gewonnen zu haben. Doch weit gefehlt: Der Druck der HLG unter ihrem Direktor Pöhl auf die BG nahm stetig zu. Sie bediente sich, da ihr keine Rechtsmittel mehr zur Verfügung standen, zunehmend unlauterer Methoden. Zunächst verkaufte sie die Ländereien (ca. sechs ha), die beim Bau der Kreisstraße vom Hof abgetrennt worden waren, als Bauland an die Stadt Bad Vilbel. Dann aber suchte sie, uns in der Öffentlichkeit und bis in einzelne Abteilungen des Ministeriums hinein bloßzustellen: Trotz der beiden, ihr vorliegenden positiven Sachverständigengutachten, streute sie Gerüchte über die angebliche Misswirtschaft auf dem Dottenfelderhof über Verunkrautung, mangelhafte Erträge, über die mystischen Grundlagen des biol.-dyn. Landbaus etc. Schließlich entstand der Plan, uns an die Zonengrenze umzusiedeln. Die Absicht, der scheibchenweisen Veräußerung der inzwischen mächtig ins Kapital gewachsenen Betriebsfläche (bis zu 1000,- DM/m² an der Hofgrenze), war der Zweck, der alle Mittel heiligte, um uns doch noch mürbe zu machen. Der Druck seitens der HLG und das Misstrauen, das sie in der Öffentlichkeit schürte, wuchsen 1977/78 ins Unerträgliche. Dies zwang uns, wieder unter Mithilfe von Dr. Kolt, den Schritt in die Höhle des Löwen zu wagen. In einem Brief an Dr. Metzler, der inzwischen Staatssekretär geworden war, baten wir um eine Unterredung mit dem Ziel der dauerhaften Sicherung der biol.-dyn. Bewirtschaftung des Dottenfelderhofes. Sie fand am 10. März 1978 im Ministerium statt, ein für uns denkwürdiger Termin. Wir waren eher auf scharfen Widerstand gefasst und erschienen demzufolge mit etwas weichen Knien zu fünft vor Dr. Metzler, begleitet von unserem stets couragierten Dr. Kolt. Auf die freundlich gestellte Frage des Staatssekretärs, wie es uns gehe, antworteten wir unisono offenen Blicks und mit Verve, dass es uns in Bezug auf die biol.-dyn. Bewirtschaftung des Hofes und dem Verfolgen unserer darüber hinausgehenden Intentionen sehr gut gehe, dass wir aber größte Sorge trügen, wie wir unsere, unter erschwerten Bedingungen geleistete Aufbauarbeit fortsetzen können. Wir verwiesen auf die Verwurzelung des Dottenfelderhofes im wachsenden ökologischen Bewusstsein der Öffentlichkeit, auf unsere Initiativen in der Weiterverarbeitung, in Forschung und Ausbildung und schließlich, dass wir mit der Begründung der Landbauschule Dottenfelderhof einen gemeinnützigen Träger geschaffen hätten.

Im Verlauf dieser Ausführungen müssen Herrn Dr. Metzler die Schuppen von den Augen gefallen sein. Er hatte uns, so mussten wir feststellen, von Anbeginn an im Tiefsten seiner Seele misstraut: Es kann doch nicht sein, dass eine Gruppe von fünf Familien, und dazu noch akademisch geschult, als Gemeinschaft in der Bewirtschaftung eines Hofes bestehen kann. Und jetzt der personifizierte Gegenbeweis! Es wurden verschiedene Lösungsansätze angesprochen und schließlich forderte uns Dr. Metzler auf, eine Denkschrift über unser Vorhaben zu verfassen und, mit Blick auf den bestehenden gemeinnützigen Träger, Lösungsvorschläge zu unterbreiten. In diesem Augenblick war klar: Der Bann ist gebrochen, gut gebrüllt Löwe, wir haben gewonnen. Mit Feuereifer machten wir uns über die Denkschrift her, formulierten den von uns favorisierten Lösungsvorschlag, der vorsah: Die Domänenverwaltung des Landes Hessen kauft den Dottenfelderhof, die Landbauschule tritt in diesen Kauf ein und erwirbt den Kernbetrieb mit Gebäuden und einer kleineren Fläche umliegenden Landes. Dr. Kolt arbeitete das Elaborat in geschliffenes Amtsdeutsch um. Flugs lag es dem Ministerium vor, fand in allen Abteilungen ein positives Echo und passierte sogar den Landtag mit Zustimmung aller Fraktionen. Staatssekretär Dr. Metzler beauftragte daraufhin den Leiter der Domänenverwaltung, Herrn Dr. Breuers, in die Kaufverhandlungen mit der HLG einzutreten. So ging der Hof, zum 1. Januar 1980, in Gänze für 9,6 Mio. DM über an die Domänenkammer des Landes Hessen. Wir traten in das Verhandlungsergebnis ein und erwarben im gleichen Zug den Kernbetrieb mit 19,5 ha Land für 1.798.200,- DM. Wie sollte diese gewaltige Summe aufgebracht werden? Gleich einer Himmelsgabe wurde sie uns, d.h. der Landbauschule Dottenfelderhof, gemeinnütziger Verein, von der Gemeinnützigen Treuhandstelle (GTS), Bochum, als zinsloses Darlehen bzw. genauer einer Zweckzuwendung zur Verfügung gestellt. Letztere heißt Schenkung mit Rückfallrecht, das eintritt, wenn die Landbauschule Dottenfelderhof aufhört, ihrer gemeinnützigen Tätigkeit nachzukommen. Es war eine Sternstunde, in welcher der Sinneswandel der Exekutive im Ministerium in der Person von unserem langjährig mächtigsten Gegner, Herrn Staatssekretär Dr. Metzler, in Eins zusammenfloss mit dieser Großtat der GTS. Unter der treibenden Kraft von W. E. Barkhoff und seiner Mitstreiter, Frau Dr. G. Reuther sowie A. Fink und R. Kerler, wurden alle verfügbaren liquiden Mittel der GTS zusammengekratzt. Die Hilfe der GTS war schon länger im Gespräch: M. Klett war seit 1970 im Aufsichtsrat der GTS und hatte bei deren regelmäßigen Arbeitstreffen sowie der jährlichen Mitwirkung von W. E. Barkhoff an der Landbauschule Gelegenheit, ihn über den Stand unseres zähen Ringens auf dem Laufenden zu halten. Dass am Ende diese große Summe als bedingte Schenkung floss, grenzte an ein Wunder! W. E. Barkhoff bemerkte einmal, dass die Rückzahlung darin bestehe, dass wir uns bemühen, aus unseren Idealen, also aus den Quellen eines anthroposophisch orientierten Landbaus, einen neuen Sozialimpuls zur Wirksamkeit zu bringen, sowohl innerbetrieblich als auch ausstrahlend in das gesellschaftliche Umfeld.

Diesem Ziel fühlten wir uns verpflichtet. Auf zweierlei Weise suchten wir, diesem gerecht zu werden:

Erstens mit dem Beschluss der Auflösung unserer Kapitalkonten, d.h. mit der schenkungsweisen Übertragung unseres Vermögens an lebendem und totem Inventar, Bausuperinventar, Vorräten, Feldinventar sowie dem Umlaufvermögen an die Landbauschule Dottenfelderhof als rechtlichen Träger bzw. in einem erweiterten, aber rechtlich nicht festgeschriebenen Sinn, an die in Gründung befindliche Landwirtschaftsgemeinschaft Dottenfelderhof (LWG). Dieser Übertragung ging eine abermalige Wertfeststellung des Inventars durch den landwirtschaftlichen Sachverständigen F. Fleischer, Fulda, zum Stichtag des 12. November 1980 voraus. Der Gesamtwert war zwischenzeitlich auf 1.020.265,- DM gewachsen.

Mit dieser Übereignung ging der Beschluss der BG einher, auch fortan kein persönliches Eigentum mehr zu bilden, d.h. die jährlichen Buchgewinne sollten fortlaufend dem gemeinnützigen Verein Landbauschule Dottenfelderhof (LBS) bzw. der LWG gutgeschrieben werden. Dieser Versuch, das Kapital aus der Veräußerung und Vererbbarkeit herauszunehmen und in eine treuhänderische Verwaltung überzuführen, hat zu Turbulenzen mit dem Finanzamt geführt, die eine erhebliche Steuernachzahlung in den 90er Jahren nach sich zog sowie einen Rechtsstreit mit der Oberfinanzdirektion, der endgültig erst im Jahr 2012 zu unseren Ungunsten entschieden wurde.

Zweitens mit der Begründung der Landwirtschaftsgemeinschaft (LWG – siehe Kapitel 10.3). Mit ihr hat sich der Kreis der BG erweitert auf Menschen, die eine Art sozialen Mantel um den Hof herum bilden. Der LWG liegt ein Kooperationsvertrag zugrunde, der unter anderem festschreibt, dass jedes neu hinzutretende Mitglied eine Summe von 3.000,- DM an die LWG Dottenfelderhof bezahlt, als Beitrag zum Bodenfreikauf. Der Betrag, der in den Anfangsjahren seit 1981 zusammenkam, floss an die GTS Bochum zurück. Es hätte eines größeren Aufwandes bedurft, dessen Höhe genau zu beziffern; es waren über 100.000,- DM. Nachdem das Finanzamt 1985 die mitunternehmerische Funktion der von außen hinzugetretenen Mitglieder der LWG nicht anerkannt hat, mussten diese Einzahlungen sowie die Treuhänderanteile der LWG-Mitglieder aus dem Betriebsgewinn als Einnahmen der BG gebucht werden, was die große Steuernachzahlung zur Folge hatte.

Die Landwirtschaft

Ackerbau

In dem Jahrzehnt von 1973 bis 1980 kam es zur Erweiterung im Anbau der Feldfrüchte: Nach Aufgabe des Rapsanbaus, infolge des Zwanges zum Anbau der sehr stickstoffbedürftigen, erukasäurearmen Neuzüchtungen, entstand die zwölffeldige Fruchtfolge mit zweijährigem Kleegras zu Beginn des ersten sechsjährigen Abschnittes, gefolgt von Weizen, Roggen, Hackfrucht und Hafer. In der zweiten sechsjährigen Folge steht an Stelle des Klees ein zweijähriges Luzernegras. Die Hackfruchtschläge wurden, neben Möhren und Rote Rüben (zur Versaftung), zunehmend bereichert durch Kartoffeln, Rot- und Weißkohl sowie Zwiebeln. Alle Getreidearten und -sorten wurden nachgebaut.

Im Winterweizen traten bald gravierende Probleme mit Weizensteinbrand (Tilletia tritici) auf. Als schließlich auf dem Niddaacker beim Drusch der Mähdrescher von einer schwarzen Sporenwolke eingehüllt wurde, war guter Rat teuer. Wie sollten wir weiterhin eigenes Saatgut gewinnen? M. Klett baute eine Warmwasserbeize: zweistündiges Eintauchen von sechs 25 kg Säcken in 42°C warmes Wasser und nachfolgende Warmlufttrocknung (ca. 30°C). Durch dieses sehr arbeitsaufwendige, doch erfolgreiche Verfahren konnte das Saatgut über die Jahre im Betrieb gehalten werden.

Einen weiteren Einbruch brachte der Kleekrebs (Sclerotinia) und zunehmend die Auswirkungen des "sauren Regens" im Luzerneanbau, eine Folge der hohen Schwefelsäureemission aus den in der Hauptwindrichtung gelegenen Industriegebieten von Frankfurt/M (Farbwerke Höchst). Der Schaden tauchte erstmals in der Luzerne auf dem Oberfeld auf, eine landkartenartige Zeichnung von wüchsigen Zonen (pH-Wert ca. 6) und Zonen völligen Wachstumsstillstands (pH-Wert unter 6). Daraufhin begannen wir mit der Kalkung sowie zeitweilig mit Gaben vulkanischer Aschen und Hüttenkalken.

Obstbau

D. Bauer pfropfte Althochstämme auf dem Baumstück hinter dem Steinbruch, zog Jungbäume heran und legte auf den elf Morgen an der Straße eine "Bleiber-Weicher-Anlage" an. Später folgten die Kirsch- und Birnbaumreihe an der Grenze zur Hölle III, die Bepflanzung von deren Spitze zur Bahnlinie hin mit Nieder- und Mittelstammobst sowie die Reihen von Mittelstammobst auf der Hölle I in Richtung Kirschberg.

Hecken

Im Zuge der Regulierung des Wasserabflusses aus dem Unterland und der Weiden vor der Bahn wurden zwei Teiche angelegt und ringsum bepflanzt. Die Weiden vor der Bahn wurden in Koppeln mit zentraler Tränke aufgeteilt. Jede Koppel erhielt eine umzäunte Baum- und Strauchinsel. Ferner wurde entlang der Weidegrenze zu den 16 Morgen hinter dem Garten eine Hecke gepflanzt, ebenso hinter der Bahn an der Grenze zum Niddaacker und an der Grabengrenze der drei Morgen zum Himmelacker.

Viehhaltung

Milchvieh

Die von E. Becker seit Anfang der 50er Jahre aufgebaute Zweinutzungs-Herdbuchherde erbrachte unverändert bei guter Gesundheit eine sehr gute Milchleistung. Die räumliche Begrenzung in den Altgebäuden sowie die Pachtunsicherheit verhinderten die dringend notwendige Bestandserweiterung. Ein tragischer Einbruch aus heiterem Himmel geschah Mitte der 70er Jahre: Das neue Tierseuchengesetz schrieb die Ausmerzung des seuchenhaften Verkalbens (Abortus Bang) vor. Klinische Fälle hatten wir nicht, wohl aber 19 Infektionsträger unter 45 Kühen. Die offizielle Empfehlung war, den gesamten Bestand abzuschlachten und durch Zukäufe einen neuen aufzubauen. Wir entschieden uns für die unsicherere und langwierigere, vom Gesetzgeber tolerierte Alternative, einer sukzessiven Ausmerzung. Es war ein Trauerspiel, der Kuhstall war fast halbleer und wir konnten auch nicht sicher mit einer bangfreien Nachzucht rechnen. Es dauerte Jahre, bis der Bestand wieder vollzählig war und uns Bangfreiheit bescheinigt wurde.

Schweine

Durch Kees Vellenga (siehe Kapitel 10.3) kam die Schweinehaltung wieder in Gang. Er richtete sie in dem ehemaligen mittleren Kuhstall des Westflügels ein, dem jetzigen Sauenstall. Die wachsende Masse an Abfällen aus dem Anbau des Feldgemüses und der Kartoffeln sowie aus Hofladen und Käserei (Molke) wurde so bestens verwertet.

Hühner

Auf Initiative von E. Bauer wurde die Hühnerhaltung vom Stand der Selbstversorgung zu einem Betriebszweig erweitert, um den Bedarf an Eiern im aufstrebenden Hofladen zu bedienen. Eine hinreichende hofeigene Futtergrundlage bildete der Ausputz aus der Getreidereinigung.

Bauliche Veränderungen

1974 wurde von der NSG das Becker-Klettsche Wohnhaus gebaut (Umzug November 1974), wodurch sich die beengte Wohnsituation im alten Wohnhaus (Erdgeschoss – Familie Bauer, 1. Stock – Familie Brandau und Klett) zu aller Zufriedenheit normalisierte. Die folgenden Baumaßnahmen wurden "genehmigungslos" in Eigenregie durchgeführt.

1974 wurde die alte Milchküche entrümpelt, der Innenausbau abgeschlossen, der Boden abgesenkt, eine Tür zum Mittelbau durchgebrochen und mit Hilfe von Meister Landmesser, der die Schreinerwerkstatt für Behinderte in Bingenheim leitet, zum "Alten Saal" umgebaut. Zusammen mit der Einrichtung des Essraumes im Mittelbau, der Küche und den Toiletten – ehemals Kohlenlager – entstand die Urzelle der Landbauschule (LBS, Eröffnung Januar 1975) und bis in die späten 80er Jahre das hochfrequentierte Veranstaltungszentrum des Hofes (Tagungen, Unterricht, Schulklassen, Januar- und Februarkurse, Weihnachtsspiele, Konzerte, Vorträge, Fasching, Erntefest u.a.).

1974 stand der Ausbau der Unterkünfte für Schulklassen (Marburg und Kassel) sowie für die Teilnehmer der Januar- und Februarkurse der LBS an. Mit Hilfe der Lehrer aus Kassel, Ohlendorf, Huneck und dem nimmermüden Wroblowski wurde die Futterkammer über dem hinteren Ende des Schweinestalles (Lager von Futterhafer und Stand der Haferquetsche) zu drei Mehrbettzimmern mit Fensterdurchbrüchen ausgebaut. Zwei zusätzliche Massenlager entstanden im Dachstuhl über den Wohnräumen des mittleren Abschnitts des alten Schweinestalls.

Ende Juli 1974 war es an der Zeit, die ehrwürdige, über 250 Jahre begangene, jetzt aber gefährlich ausgetretene Basaltstufentreppe zum Gutshaus zu ersetzen. Meister Landmesser aus Bingenheim schuf und schenkte uns das Treppengeländer, ebenso wie zuvor die Treppe zur Dachwohnung im Mittelbau und die beiden Treppen zu den Massenunterkünften.

Im Februar 1978 feierten wir Richtfest des neuen, auf 800 Legehennen ausgelegten Hühnerstalls im Hofgarten. Den Holzaufbau lieferte die Firma Drott. Durchbrüche durch die Gartenmauer öffneten den Zugang zu einem Gehege von Wechselausläufen.

9.3 Wirken und Wandel der Betriebsgemeinschaft

In den 70er Jahren quoll der Betrieb über mit Lehrlingen, weniger Praktikanten. Es waren bis zu neun Lehrlinge in der Landwirtschaft und drei in der Hauswirtschaft. In ihrer Ausbildung erfüllte sich das Ideal, dass die Landwirtschaftslehrlinge nacheinander die Betriebszweige durchlaufen konnten und in jedem derselben ein Vorbild in der Arbeit antrafen, ein Mitglied der BG, das sie anleitete. Die Arbeitsbesprechungen am Morgen im großen Kreis strahlten aus in die Arbeitsabläufe des Tages. Jeder wusste, was der andere tat. Die Arbeit ging freudig von der Hand, sie zählte nicht nach Stunden, sondern nach dem, was zu tun war. Man sprang füreinander ein, handelte aus der Ganzheit des Betriebes. Begeisterung, Ernsthaftigkeit und Heiterkeit gaben sich die Hand. Das Ideal, das am Anfang stand, erfüllte sich in wirksamer Geistesgegenwärtigkeit. Man erlebte Sternstunden betriebsgemeinschaftlichen Zusammenwirkens, Momente einer Zusammenarbeit, in welcher das Zeitnotwendige aus Kräften getan wurde, die aus der Zukunft hereinstrahlten. Jeder Verantwortliche führte sich selbst, und wenn auch dann und wann es in der Arbeit Trennendes geben mochte, so überwog doch ein Sog in die Zukunft, das Bewusstsein eines gemeinsamen geistigen Zieles, eines Fokus, der einen zur freieren Sicht emporhob, der Kräfte der Einmütigkeit und des gemeinsamen initiativen Wollens entband. Man konnte die Empfindung haben: Ein Flügelschlag des Geistes berührte diesen Erdenort; über der ganzen Unternehmung waltete ein geistiger Kredit; der Betrieb war in Idee und Praxis bis in den letzten Winkel durchdrungen.

Das alles war das Ergebnis einer betriebsgemeinschaftlichen Gesamtleistung, die m.E. auf drei tragenden Säulen ruhte:

  • Auf Vernunft, Forschergesinnung, gegenseitigem Interesse, aneinander lernender Fachkompetenz sowie auf dem Willen zur Kommunikation, zur Bereitschaft, die anderen an eigenen Beobachtungen des Naturgeschehens und der betrieblichen Abläufe teilhaben zu lassen, sich gegenseitig auf das scheinbar Selbstverständliche immer aufs Neue aufmerksam zu machen.
  • Auf dem persönlichen Verhältnis zur Anthroposophie und ihren Erkenntniswegen sowie auf der Suche nach Geistesgewissheit bezüglich der Anregungen R. Steiners im Landwirtschaftlichen Kurs und dies im Kontext mit anderen Ergebnissen der Geistesforschung.
  • Auf der gemeinsamen anthroposophischen Studienarbeit. Sie ist der wichtigste Faktor, gleichsam das Rückgrat betriebsgemeinschaftlicher Zusammenarbeit. Mit ihr steht und fällt eine stets sich erneuernde, sich entwickelnde Zusammenarbeit, eine solche, die, durch das Nadelöhr der sich ihrer selbst bewusst werdenden Individualität, erst zu einer wahren, geistgetragenen Gemeinschaft führt. Dies bedarf der Begründung: