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Dieter Bauer - Interview mit Johanna Fellner 2018
Der Blick für die ganze Pflanze
Dieter Bauer ist einer der Pioniere der biologisch-dynamischen Gemüsezüchtung. Hier spricht er mit Johanna Fellner, die seinen Bereich jetzt übernimmt, über Pflanzenzüchtung früher, heute und in die Zukunft hinein.
Woher nehmt ihr die Geduld für die züchterische Arbeit?
Dieter Bauer: Aus der Ungeduld. (lacht)
Johanna Fellner: Ja, das klingt unlogisch, aber es ist so. Für mich kommt es auch aus einem Drang: Dem Drang, eine Grundlage für gute Lebensmittel zu haben. Wenn ich weiß, ich brauche das, wir brauchen das als Menschen, dann kann ich Jahrzehnte daran arbeiten.
Dieter: Die Geduld muss aus der Einsicht kommen, dass es eben alles nicht so schnell geht. Und die kommt aus der Erfahrung, oder?
Johanna: Ja, mein Ziel ist es ja nicht, möglichst schnell eine Sorte anzumelden, sondern mit den Pflanzen in einem Prozess zu sein. Es geht um die Entwicklung des Menschen und der Pflanze. So lange das meine Grundlage ist, stellt sich die Geduldsfrage nicht so. Man braucht ja allgemein für züchterische Fragen eine ganz andere Ruhe als beim einfachen Anbau und es ist ein Genuss für mich, so auf die Pflanzen schauen dürfen.
Was waren die großen Herausforderungen damals als die Züchtungsarbeit auf dem Dottenfelderhof begann?
Dieter: Unsere Fragen gingen zu der Zeit immer in die Zukunft. Der Krieg war noch nicht so weit in der Vergangenheit und es ging uns immer wieder darum, wie es nach der Katastrophe weitergehen konnte.
Schon in den 70er und 80er Jahren gab es immer wieder Gärtnertreffen mit der Frage: wie kommen wir zu biologisch-dynamischem Gemüsesaatgut? Die Hürden waren vor allem finanziell, aber auch beim Staat gab es kein Verständnis für die Bedeutung samenfester Sorten. Doch wir ließen uns nicht beirren. 1984 bildeten die Gärtner den „Initiativkreis für Gemüsesaatgut aus biologisch-dynamischem Anbau“, der sich seitdem regelmäßig zwei Mal im Jahr getroffen hat.
Am 21.10.1988 gingen wir dann als eine Gruppe von Züchtern zum Bundessortenamt in Hannover, um über Möglichkeiten zu verhandeln, wie wir unsere Sorten anmelden könnten. Man hatte dort Sorge, dass viele kleine Züchtungsinitiativen die Prüfverfahren des Amtes zu kompliziert machen würden. Doch dann plötzlich, ganz am Ende des Gespräches, zeigte sich ein Weg, wie wir unsere Sorten in den Verkehr bringen konnten: Das Bundessortenamt sagte zu, dass „Standardsaatgut“ in kleinen Einheiten gehandelt werden kann. Zur selben Zeit begann Thomas Heinze in Bingenheim den Saatguthandel aufzubauen.
Bald war allerdings klar, dass wir eine professionelle Züchtungsarbeit auf den Höfen nur mit finanzieller Unterstützung von außen schaffen können. So wurde 1994 der gemeinnützige „Verein zur Förderung der biologisch-dynamischen Gemüsezucht“ gegründet. Die gemeinnützige Treuhand Bochum legte zu fast gleicher Zeit den Saatgutfonds auf, um Spenden für die Züchtung zu sammeln.
Diese Momente, wo man gegen Widerstände nicht ankommt und denkt, es ist unmöglich und sich dann doch die Türen öffnen, aufgrund einer Gruppe von Menschen, die wirklich etwas wollen, da kann man nur dankbar sein, dass man Teil von so etwas sein konnte.
Vor welchen Herausforderungen steht die Züchtung heute?
Johanna: Der Unterschied zwischen konventioneller Züchtung und unserer biologisch-dynamischen Arbeit müsste viel markanter sein, als er es heute ist. Wir sollten nicht versuchen „so gut“ zu sein wie die konventionelle Züchtung und vor allem der Ertragsstärke der konventionellen Sorten hinterher eifern. Aus dem biologisch-dynamischen Gedanken könnten wir eigentlich Vorreiter sein mit unseren ganz eigenen Kriterien. Wir wollen doch Ernährungsqualität und lebendige Pflanzen.
Wir wissen schon viel darüber, wie wir diese entwickeln können, aber wir haben noch keine überzeugenden Strategien für den Anbau auf den Höfen. Es kann sein, ich habe ganz besondere, schmackhafte Sorten, aber sie entsprechen äußerlich nicht den Marktanforderungen, liefern eben nicht gleiches Kaliber, Spitzenertrag. Diese Kriterien entsprechen eigentlich auch gar nicht den Pflanzen, aber sie bestimmen eben heute, ob ein Landwirt eine Sorte anbauen und dann auch erfolgreich vermarkten kann. Wie kriegen wir das in Zukunft im Anbau zusammen, unser Wissen um Qualität und Geschmack und die Markt- und Kundenerwartungen?
Und ich hoffe, dass es uns gelingt, vor allem auch die Kulturen wie den Kohl zu schützen, wo die Gefahr so groß ist, dass es bald nur noch Saatgut gibt, das mit der CMS-Technologie hergestellt wurde und nicht nachbaufähig ist.
Dieter: Das ist in der Tat eine riesige Herausforderung, man kann sich gar nicht vorstellen, wie das ohne viel größere Bemühungen abgewehrt werden kann. Das Problem liegt auch in der Geschichte der Demeter-Bewegung begründet: Damals war für uns alle klar, Hybridzucht ist kein Weg für biologisch-dynamische Bauern. Und dennoch haben wir die Grenze im Verband nicht klar gezogen, der Anbau von Hybrid Sorten wurde nicht in den Demeter-Richtlinien verboten. All diese Jahre, in denen wir Hybriden angebaut haben, anstatt weiter mit den samenfesten Sorten zu arbeiten, die sind jetzt für uns verlorene Zeit.
Dieter’s Rodelika ist in ganz Deutschland, und weit darüber hinaus, bekannt. Johanna, worauf möchtest Du in 30 Jahren besonders stolz sein?
Johanna: Wichtiger als eine „eigene“ Sorte ist es mir, dass es mit der biodynamischen Züchtung weitergeht, dass es auch in 30 Jahren noch Menschen - vielleicht sogar noch mehr Menschen - geben wird, die wirklich mit den Pflanzen arbeiten. Ich hoffe, dass es eine größere Vielfalt gibt und nicht nur Ertrag, Ertrag, Ertrag zählt, sondern vor allem die Ernährungs-qualität.
Außerdem ist es mein Bestreben, die Züchtung innerhalb des gesamten Betriebsorganismus zu sehen. Das geht hier auf dem Dottenfelderhof besonders gut, weil Züchtung, Landwirtschaft und Gartenbau so eng ineinander greifen. Es stellt sich mir zur Zeit besonders die Futterfrage der Tiere, denn ohne ihren Dünger kann ich kein gutes Gemüse anbauen, aber biologischdynamische Klee- oder Luzernesorten haben wir noch nicht.
Dieter, was macht Johanna, die jetzt Deinen Bereich weiterführen wird, so wie Du, und was macht sie ganz anders?
Dieter: Das wird sich im Laufe der Jahrzehnte herausstellen. Es ist für Johanna ein ganz anderer Ausgangspunkt. Ich habe anfangs nebenbei, wirklich nebenbei Selektion gemacht— und habe gesehen, dass da etwas bei rausgekommen ist, dass das geht. Inzwischen ist längst klar, dass die Züchtungsarbeit auf dem Dottenfelderhof professionell gemacht wird.
Johanna: Ich mache sicher dies und das anders. Aber vor allem bin ich heute dankbar für die Zeit, in der wir gemeinsam arbeiten können.
Mir ist ein großes Licht aufgegangen, als Dieter und ich in diesem Herbst zusammen durch die Bestände gegangen sind: Beim Selektieren guckt Dieter nicht nur auf die Einzelmerkmale wie Blattstellung oder Strunklänge. Sondern es gelingt ihm, zuerst und vor allem die ganze Pflanze anzuschauen, und erst als Resultat des Gesamtblickes die Einzelmerkmale zu erfassen. Diesen Blick für die ganze Pflanze, den möchte ich immer weiter üben.
- aufgeschrieben von Lilja Sidora[1]